Tante Dimity und der unerhoerte Skandal
Miss Shepherd.
Williston produziert sie am laufenden Band.«
Meine Aufregung legte sich ein bisschen, als ich mich an ein Geräusch erinnerte, das ich vor weniger als einer Stunde gehört hatte: das gleichmäßige Kratzen von Onkel Willistons Gänsekiel, als er an seinem Schreibtisch saß. »Wollen Sie damit sagen, dass Williston diese Urkunde selbst geschrieben hat?«, fragte ich widerstrebend.
»Und viele andere außerdem«, bestätigte Sir Poppet. »Und jede von ihnen lautet auf den Namen Sybella Markham. Bitte …« Er deutete an, dass wir vor ihm die Treppe hinuntergehen sollten. »Wenn Sie mit in mein Büro kommen, kann ich Ihnen die Sache erklären.«
»Ja«, stimmte ich zu. »Das wäre vielleicht ganz sinnvoll.«
Die Einrichtung von Sir Poppets Büro war dunkel und auffallend modern – schwarze Ledersessel, dazu ein Schreibtisch aus Ebenholz, in den Ecken mattschwarze Leuchter und an den kobaltblauen Wänden abstrakte Gemälde. Trotz meiner Ungeduld bestand er darauf, dass wir zunächst etwas aßen. Er erinnerte uns daran, dass es fast Mittag war, und außerdem war Nell einer starken psychischen Belastung ausgesetzt gewesen.
Nell wirkte gedämpft – fast bedrückt, fand ich –, möglicherweise wegen dem Gedanken, dass ein alter Freund wie Sir Poppet es auf eine solche Konfrontation hatte ankommen lassen, ohne sie darauf vorzubereiten. Meine Gedanken kreisten um die Urkunde. Die wegwerfende Art und Weise, mit der Sir Poppet ihre Echtheit abtat, ließ mir keine Ruhe.
Ich hatte mir das Dokument unter der sehr hellen Lampe auf seinem Schreibtisch nochmals angesehen. Wenn es eine Fälschung war, dann war es die beste, die ich je gesehen hatte.
Als das leichte Mittagessen abgetragen war, setzte Sir Poppet sich hinter seinen Schreibtisch, und Nell und ich nahmen in den zwei behaglichen Ledersesseln Platz. Einen Augenblick schaute er auf seine gefalteten Hände, dann sah er Nell an. »Ehe ich anfange, muss ich mich entschuldigen, dass ich Sie vor Ihrem Besuch bei Williston nicht eingeweiht habe. Es war notwendig, aber es war nicht sehr rücksichtsvoll.«
»Warum war es notwendig?«, fragte Nell.
»Ich hatte keine Ahnung, wie Williston reagieren würde, wenn er Sie sieht – wenn er überhaupt reagieren würde. Wenn Sie mit einer vorgefassten Meinung zu ihm hineingegangen wären, dann hätten Sie vielleicht versucht, das Gespräch in eine bestimmte Richtung zu steuern.« Sir Poppet lächelte verschmitzt. »Ich kenne Sie, seit Sie auf der Welt sind, Lady Nell, und ich kenne Ihre … Talente. Ich wusste auch, dass Sie die Fähigkeit haben würden, Willistons Spiel mitzuspielen, wenn er Ihnen erst mal Ihre Rolle zugeteilt hatte.«
Nell nahm das Kompliment mit zurückhaltendem Kopfnicken zur Kenntnis. »Ich hoffe, Sie sagen uns jetzt die Wahrheit, Sir Poppet. Wer ist Sybella Markham? Ich glaube nämlich nicht, dass sie eine Fantasiefigur von Williston ist. Dazu war sie zu real.«
»Ah, aber Einbildungen können sehr real sein«, gab Sir Poppet zu bedenken, »besonders wenn sie einen Menschen als Vorbild haben, der dem Patienten bekannt ist. Sybella Markham, zum Beispiel, basiert auf Willistons Frau, Sybil.«
»Sybil«, sagte ich kaum hörbar. Dieses wichtige Detail hatte Emma nicht weitergegeben. Ich sah Sir Poppet fragend an. »Und der ›er‹, von dem Williston sprach, der Mann, der Sybella mit seiner Berührung beschmutzte – das ist Douglas, richtig?«
»Das würde ich annehmen.« Sir Poppet stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Sybil war Willistons zweite Frau. Sie war sehr viel jünger als er, blond mit blauen Augen, und Sie sind – wenn Sie gestatten, Lady Nell – eine idealisierte Version von ihr.«
»Und als wir kamen, beschlossen Sie, sich diese Ähnlichkeit zunutze zu machen«, warf ich ein.
Sir Poppet nickte. »Ich hoffte, es würde Williston aus seiner Reserve locken, ich hoffte, er würde sich öffnen und sich seinen Schuldgefühlen wegen Sybils tragischem Tod stellen.«
»Sie ist tot? «, fragte ich erschrocken.
Sir Poppet sah von meinem erstaunten Gesicht zu Nell und zwinkerte nervös. »Das wussten Sie nicht? Ich dachte, es sei Ihnen bekannt. Sie sagten, Sie wüssten über Sybil und Douglas Bescheid.«
»Wir wussten, dass sie zusammen durchgebrannt sind«, erklärte ich, »aber wir hatten keine Ahnung, dass sie tot ist.« Ein schrecklicher Gedanke schoss mir durch den Kopf. »Williston hat sie doch nicht etwa umgebracht ,
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