Tante Dimity und der unerhoerte Skandal
ein unbezahlbares Stück der Sammlung, die Tom nach dem Krieg »billig hatte kaufen können«. Ich hatte das alles völlig vergessen gehabt und es auch Bill gegenüber nicht erwähnt, aber jetzt fragte ich mich … Spielte Gerald für die älteren Willis den Weihnachtsmann, indem er sein Erbe verkaufte?
Tom gab Schwester Watling die Sauerstoffmaske und bedeutete ihr, dass sie sich zurückziehen solle. »Deine strengen Blicke schüchtern meine Gäste ein, Rebecca. Sei nett, oder ich schicke dich weg, dann kannst du irgendeine langweilige alte Krähe in Surbiton pflegen.«
»Krähen können auch ganz interessant sein«, sagte Schwester Watling und stopfte die Decken um seine Beine fest.
»Zurück zu Ihren Büchern, Schwester«, sagte Tom streng. »Mir geht es sehr gut.« Er sah wirklich viel besser aus. Seine Lippen waren nicht länger blaugrau, und er atmete mehr oder weniger normal. Jedenfalls schien Schwester Watling befriedigt und wandte sich wieder ihrem Buch zu.
»Interessiert Gerald sich für historische Flugzeuge?«, fragte ich.
»Überhaupt nicht«, sagte Tom. »Aber ich. Schon immer, seit meiner Kindheit, nicht wahr, Geraldine? Das hängt natürlich mit dem Krieg zusammen.«
Ich erinnerte mich an Cyril, Dimitys gnomenhaften Boten in Cloverly House, und wurde neugierig.
Sir Poppet hatte erzählt, dass Cyril während des Krieges in Biggin Hill gearbeitet hatte. War Onkel Tom auch dort gewesen? Sollten wir hier noch jemanden kennen lernen, der Dimity und ihren Verlobten, den Bomberpiloten, gekannt hatte?
»Waren Sie bei der Air Force?«, fragte ich.
Tom sah Schwester Watling an. »Ich muss wohl einen schlechten Tag haben, Rebecca. Dieses Kind hier hält mich für Methusalem.« Er wandte sich wieder mir zu. »Meine Liebe, als der Krieg zu Ende ging, war ich gerade zwölf Jahre. Sie mussten schon jung ran damals, aber ganz so jung denn doch nicht.«
In stummer Verlegenheit starrte ich auf meine Füße. Zu spät erinnerte ich mich daran, dass Gerald Nell erzählt hatte, dass sein Vater zu jung gewesen war, um eingezogen zu werden. Ich fragte mich, ob ich vielleicht einen TanteDimityKomplex bekam. Wenn ich nicht aufpasste, würde ich sie noch hinter jedem Busch sehen.
»Na ja«, murmelte Tom tröstend, »es ist nicht Ihre Schuld. Man lernt ja in der Schule nichts mehr darüber. Ich vermute, Sie haben noch nicht einmal etwas vom Luftkrieg über England gehört.«
»Doch, habe ich«, verteidigte ich mich. »Ich bin sozusagen verwandt mit jemandem, der darin umgekommen ist.«
»Tatsächlich?« Tom klang beeindruckt. »Ich ebenfalls. Meine Mutter, mein Vater, mein Bruder Stanley und meine Schwester Iris. Mein Onkel und meine Tante wohnten oben, meine Großeltern nebenan. Dad schickte mich an einem Sonntagmorgen um die Ecke, um Käse zu kaufen, und während ich weg war, schmiss eine Heinkel eine Bombe auf unsere Häuserzeile. Als ich zurückkam, war keines der Häuser mehr da. Nur noch Feuer und Ruinen.«
Er lächelte. »Und so fing ich an, mich für Flugzeuge zu interessieren. Komisch, nicht wahr?«
Sprach er im Delirium? Ich sah Schwester Watling an, aber die war ganz auf ihr Buch konzentriert.
Ich sah zu Bill, der seine Augenbrauen hochzog, und zu Nell, die ebenfalls leicht verwirrt aussah.
»Mr Willis«, sagte sie, indem sie mit der ihr eigenen unverblümten Offenheit den Stier bei den Hörnern nahm, »wie kann das sein? Der Name Ihres Bruders ist Williston, und Ihre Schwester heißt Anthea, und beide leben noch. Sie lebten während des Krieges in Anne Elizabeth Court Nummer drei.«
Tom schüttelte den Kopf. »Ich widerspreche Ihnen nur ungern, meine liebe Lady Nell, aber das alles kam sehr viel später. Nach Dimity.«
27
JETZT HÄTTE EINE ganze Schwadron Spitfires über Toms Garten fliegen können, ich hätte es nicht gemerkt. Mein Herz, das sich gerade erst von dem Schreck mit der Gloster Gladiator erholt hatte, tat einen erneuten wilden Hüpfer. Ich saß wie versteinert da und sah Tom mit offenem Mund an.
Zum Glück musste man Tom nicht nötigen, in seiner Geschichte fortzufahren. Er berichtete mit ruhiger Sachlichkeit, als wüsste er, dass diese Tragödie, würde er Emotionen zulassen, ins Bodenlose abgleiten könnte.
Toms gesamte Familie war bei einem Luftangriff umgekommen, in jenem »Blitz«, der London im Januar 1944 heimgesucht hatte. »Man hatte vorgeschlagen, Stanley, Iris und mich zu evakuieren, aber meine Mutter wollte nichts davon wissen.
›Wenn es uns erwischt, dann erwischt es
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