Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief
Benedict’s hatte sie aus zweiter Hand von mir erfahren. Hatte sie allen anderen, die ich in meinen dummen Geschichten erwähnt hatte, ähnliche Erbschaften hinterlassen?
Würden mich jetzt alle meine Nachbarn anrufen, um mir von einem Brief zu berichten, den sie von Miss Beachams Anwalt erhalten hatten?
Ich saß wie auf glühenden Kohlen. Ich wusste einfach nicht, was noch alles auf mich zukommen würde. Als es dann tatsächlich klopfte, fuhr ich so schnell auf meinem Drehstuhl herum, dass ich mir das Knie am Schreibtisch anschlug.
»Au!«, schrie ich in dem Moment, als mein Mann eintrat.
Bill trug seine, wie er es nannte, Kluft für Telekonferenzen. Von der Hüfte aufwärts war er ganz der seriöse Anwalt: Sakko und Weste von tadellosem Schnitt, schimmernde graue Seidenkrawatte, perfekt gebügeltes weißes Hemd. Weiter unten trug er jedoch die Uniform des lockeren radfahrenden Papas: ausgeblichene Jeans, Sportsocken und schlammverschmierte Joggingschuhe. Bei dieser Kombination brach ich fast immer unweigerlich in Kichern aus, nur diesmal entlockte sie mir bloß ein mattes Lächeln.
»Annelise hat angerufen«, erklärte er und schloss die Tür hinter sich. Sein dunkles Haar war durcheinander, und seine Wangen waren gerötet, als hätte er seine Konferenzschaltung mittendrin unterbrochen und wäre heimgehastet. »Sie hat mir erzählt, was passiert ist. Dabei hat sie auch erwähnt, dass du dich seitdem in deinem Büro einsperrst. Sie wollte dich nicht stören, aber ich glaube, du hast sie ziemlich aufgeschreckt. Wie geht’s dir?«
»Es … geht schon«, antwortete ich und rieb mir das Knie. »War das ein Vormittag! Irre ist kein Wort!«
»Das habe ich mir schon sagen lassen.« Bill deutete auf den Sessel, den ich immer für meine Gespräche mit Tante Dimity benutzte. »Erzähl mir davon.«
Sobald ich mich im Sessel niedergelassen hatte, berichtete ich ihm alles von A bis Z. Er saß im Sessel mir gegenüber und hörte aufmerksam zu, ohne mich zu unterbrechen. Als ich geendet hatte, bat er mich, ihm den Brief zu zeigen. Er las ihn schweigend, aber als er auf das Postskriptum mit den Namen von Miss Beachams Anwälten stieß, entfuhr ihm ein leises Pfeifen.
»Pratchett and Moss. Ich kenne die Kanzlei. Sie vertritt nicht unbedingt Leute von bescheidenem Einkommen.« Er gab mir den Brief zurück. »Und du hattest keine Ahnung, dass Miss Beacham wohlhabend war?«
»Nicht die geringste«, antwortete ich. »Es mag komisch klingen, aber wir sind nie auf ihr Bankkonto zu sprechen gekommen.« Ich lehnte mich zurück und senkte den Blick auf den Brief. »Vielleicht war sie eine von den Frauen, die ihr Leben lang nur knausern. Du weißt schon, die Sorte, die von Sardinen lebt, obwohl sie sich Kaviar leisten kann. Ich frage mich nur, ob sie ihrem Bruder was hinterlassen hat …«
»Mit dem sie sich zerstritten haben könnte«, warf Bill dazwischen.
»… oder Hamish, der keine Katze ist«, fuhr ich fort. »Und warum hat sie ihre Schlüssel mir gegeben? Sollte nicht ihr Bruder den ersten Zugriff auf ihre Besitztümer haben?«
»Vielleicht lag ihr nichts an ihrem Bruder«, überlegte Bill. »Oder sie hatte ihn aus den Augen verloren.«
»Wie kann man seinen Bruder aus den Augen verlieren?«, rief ich.
»Schlamperei?« Bill gestattete sich ein leises Lä cheln, dann meinte er achselzuckend: »Ich weiß nicht, was aus ihrem Bruder geworden ist, aber ich würde mir nicht den Kopf darüber zerbrechen, ob sie ihm was hinterlassen hat oder nicht. Ich hab es tagtäglich mit Testamenten zu tun, Lori. Da kann mich nichts mehr überraschen. Einer meiner Mandanten hat sein ganzes Eigentum seinem Kakadu vererbt. Ein anderer hat einem Museumskurator fünfzigtausend Dollar vermacht, dem er nur einmal begegnet war, und zwar vierzig Jahre vor seinem Tod. Im Vergleich dazu fallen Miss Beachams Hinterlassenschaften eher unter die Rubrik Kleinkram.«
»Soviel wir wissen«, warnte ich. »Ich schwöre dir, Bill, ich rechne jeden Augenblick damit, dass Peggy Taxman anruft und mir erzählt, dass Miss Beacham ihr zehntausend Pfund als Belohnung hinterlassen hat, weil sie die amüsanteste Postmeisterin ist, die es je in Finch gegeben hat.«
» Das würde mich allerdings überraschen«, räumte Bill ein.
»Ich kann es immer noch nicht fassen.« Ich stützte das Kinn auf die Faust und legte die Stirn nachdenklich in Falten. »Dreißigtausend Pfund sind keine Peanuts, Bill. Wie hat es Miss Beacham mit ihrem bescheidenen Gehalt als
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