Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief
hervor. »Ich bringe die Jungs auf dem Weg nach Oxford bei Ihnen vorbei, und Annelise holt sie dann zum Mittagessen ab.«
»Das wird sie nicht«, erwiderte Mr Barlow mit fester Stimme. »Handwerker essen zusammen Mittag, Lori. Die Steppkes werden mich keines Blickes mehr würdigen, wenn ich sie heimschicke, ohne dass sie ihre Wurstbrötchen und Limo im Pub gekriegt haben. Geben Sie ihnen nur vorsichtshalber Regensachen mit, falls wir irgendwohin gerufen werden. Wenn wir die Arbeit erledigt haben, liefere ich sie wieder bei Ihnen daheim ab.«
Ich stimmte überglücklich zu, Annelise und die Zwillinge nicht minder, sodass Mr Barlows kleiner Trupp schon um zehn Uhr eifrig Nägel in seiner Werkstatt sortierte, während Annelise frische Kleider in den Schrank der Jungen legte und ich mit ruhigem Gewissen, einem Stadtplan auf den Knien und einem Haufen Fragen im Kopf nach Oxford aufbrach.
Auch wenn Bill das nicht unbedingt so sah, war ich der festen Überzeugung, dass ich mich längst daran gewöhnt hatte, in England über Land zu fahren.
Die falsche Straßenseite kam mir nicht mehr falsch vor, Brücken mit nur einer Spur entlockten mir nur noch ein müdes Gähnen, und durch doppelte Kreisverkehre rauschte ich mit der Nonchalance der einheimischen Fahrer, die damit aufgewachsen waren – vielleicht mal abgesehen von dem einen oder anderen Panikschrei, den ich immer gleich sorgfältig erstickte.
Andererseits hatte ich mich nie daran gewöhnen können, mich durch die verstopften Straßen von Oxford zu quälen, wo meine Schreie sich häuften und auch nicht mehr erstickt werden konnten. Die Strecken zur St. Benedict’s und zum Radcliffe kannte ich im Schlaf, und die bewältigte ich auch mühelos, doch sobald es unter Druck zu improvisieren hieß, war ich ein hoffnungsloser Fall.
Aus diesem Grund hatte ich schon am Vorabend einige Zeit damit verbracht, mir eine Route durch das wirre Geflecht der Straßen, Plätze, Gassen, Sackgassen und halbkreisförmig verlaufenden Promenaden der Oxforder Innenstadt zurechtzulegen und einzuprägen, die mich, zumindest theoretisch, zur St. Cuthbert Lane Hausnummer 42 führen würde – also zu der Adresse, die mir Miss Beacham aufgeschrieben hatte.
Es lief auch alles nach Plan, bis mich ein paar haarsträubende Begegnungen mit Einbahnstraßen –
die im Stadtplan natürlich nicht als solche gekennzeichnet waren – dazu zwangen, eine gute Stunde am Rande des Nervenzusammenbruchs herumzukreisen, wobei ich mir alle Mühe gab, mich und die Situation im Griff zu behalten. Doch alle meine Bemühungen halfen nichts. Dass ich überhaupt in einer Straße landete, die ich auf dem Stadtplan gesehen und mir gemerkt hatte, war purem Glück zu verdanken.
Die Travertine Road war eine nette Durchfahrtsstraße mit Läden, Cafés und Betrieben auf beiden Seiten, doch ihr in meinen Augen erwähnenswertestes Merkmal war der Umstand, dass sie irgendwann in die St. Cuthbert Lane münden musste. Wo diese Kreuzung sein mochte, war bislang allerdings eine offene Frage. Obwohl ich aus einem Land stamme, das mit einer Vielzahl von gut sichtbar aufgestellten, einheitlich gestalteten Verkehrszeichen gesegnet ist, hatte ich mich dafür entschieden, in England zu leben, wo die Verkehrsschilder alle möglichen Formen besaßen und wie aus dem Nichts erscheinen konnten. Die Erfahrung hatte mich gelehrt, nicht nur Mauern, sondern auch Fensterbretter, Randsteine und Laternenpfosten nach kreativ verborgenen Hinweisen auf Örtlichkeiten abzusuchen.
Die phasenweise heftig gegen die Windschutzscheibe prasselnden Regengüsse gestalteten meine Aufgabe noch mehr zu einer Herausforderung.
Entsprechend erleichtert muss darum mein Stoß seufzer geklungen haben, als ich zu meiner Rechten am Sims eines einstöckigen roten Ziegelgebäudes in schwarzen Buchstaben die Aufschrift St . Cuthbert Lane erspähte. Sofort bog ich scharf rechts ab und schoss in einen freien Parkplatz, der wie durch ein Wunder wenige Nummern vor Miss Beachams Haus auftauchte.
Während ich am Vorabend über dem Stadtplan gebrütet hatte, hatte ich mir im Geiste schon ein Bild von der St. Cuthbert Lane Nummer 42 entworfen, das auf nichts als meinen Eindrücken von Miss Beacham beruhte. Ich stellte mir ein mit den Jahren immer charmanter gewordenes, pastellfarben getünchtes, älteres Ziegelgebäude vor, wo von verwitternden Balustraden Efeu herabhing, aus rissigen Blumentrögen vor den Fenstern bunte Geranien quollen und wo über der Eingangstür vielleicht
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