Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief
Fensterecke waren ein eleganter Teetisch und ein Sessel mit Chintzbezug gruppiert.
Irgendwie tröstete mich die Vorstellung, wie Miss Beacham im durchs Schlafzimmerfenster her-einströmenden Licht in diesem Sessel gesessen hatte, um die Schultern einen Paisley-Schal, in den Händen einen Band von Disraelis Memoiren und in Griffweite vor sich eine Tasse Tee. Sie mochte in Oxford ein einsames Leben geführt haben, sagte ich mir, doch es war von Schönheit umgeben gewesen. Mein Blick schweifte von den Rosenblüten zur bestickten Tagesdecke, und zum ersten Mal, seit ich die Wohnung betreten hatte, spürte ich Miss Beachams heitere Gegenwart.
Hamish beendete nun seine Reinigung und begab sich vom Bett auf die Chaiselongue. Dort streckte er sich ausgiebig mit hochgerecktem Hinterteil und zuckendem Schwanz, dann rollte er sich zusammen, schmiegte die Nase an die Hinterbeine und schloss die Augen für den wohlverdienten Schlaf.
Was würde nun aus ihm werden?, überlegte ich.
Wohin würde er kommen, da nun keine Miss Beacham mehr da war, die ihm das Fenster öffnete?
Gerade streckte ich die Hand aus, um Hamish zu streicheln, als er den Kopf hob und mit gespitz-ten Ohren Richtung Flur spähte. Ich folgte seinem Blick, und jäh lief mir ein kalter Schauer den Rü-
cken hinunter, als ich vom Durchgang her ein Ge-räusch hörte.
Jemand klopfte an Miss Beachams Tür.
7
MEIN ERSTER GEDANKE war, dass ein Nachbar das Licht hinter Miss Beachams Fenstern entdeckt und die Polizei gerufen hatte. Dann fragte ich mich, ob Mr Moss selbst gekommen war, um zu sehen, was für eine Spinnerin das war, die eine Nacht in der Wohnung seiner Mandantin verbringen wollte.
Der dritte und beunruhigendste Gedanke war: Was würde der distinguierte und vornehme Anwalt tun, wenn er den Kater in der Wohnung entdeckte?
Hamish würde zweifellos in einem Tierheim landen und ich im Gefängnis wegen fahrlässiger Gefährdung historischer Möbel.
»Stillhalten«, forderte ich Hamish auf und hob warnend einen Zeigefinger. »Und dass du mir ja nicht maunzt!«
Hamish wälzte sich auf den Rücken und haschte verspielt nach meinem ausgestreckten Finger, ehe er sich wieder in der alten Position zusammenrollte, ohne allerdings einzuschlafen. Ich konnte spü ren, wie seine leuchtend gelben Augen mir folgten, bis ich die Tür geschlossen hatte.
Als Erstes stürzte ich ins Wohnzimmer. Vorsichtshalber hatte ich am Morgen vor der Abfahrt Miss Beachams Brief in der Umhängetasche verstaut, um etwas in der Hand zu haben, falls jemand danach fragte, mit welchem Recht ich in ihr Zuhause eindrang.
Solcherart mit Miss Beachams Worten bewaffnet, trimmte ich meine Züge zu einem, wie ich hoffte, offenen, unschuldigen und vor allem vertrauenswürdigen Ausdruck, dann huschte ich in den Flur. Zu meiner Erleichterung war die Tür mit einem Spion ausgestattet. Auf Zehenspitzen schlich ich hin und spähte mit angehaltenem Atem hinaus.
Wenn der Mann mir gegenüber Mr Moss war, war der Anwalt weder so alt noch so gut gekleidet, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich schätzte den Kerl auf vielleicht vierzig. Er war groß und breitschultrig, und sein kurzes, dunkles Haar war grau gesprenkelt. Er hatte ein nettes Gesicht – gut aussehend, aber nicht umwerfend schön. Seine grauen Augen wirkten müde, und er hatte anscheinend vergessen, sich zu rasieren – sein Kinn zierte ein Stoppelbart.
Bekleidet war er mit abgewetzten Sandalen, dazu – wie ich erschauernd feststellte – weißen Socken, und sein übergroßer maschinengestrickter Pullover war – so vergammelt, wie er aussah – ein oft getragenes, uraltes Lieblingsstück. Der Pullover hing lose über eine mit Farbklecksen übersäte weite Trainingshose. Was ich auf den ersten Blick nicht zu beurteilen vermochte, war, ob dieser Mann zu Julian Brights Herde schlecht beleumdeter verlorener Schafe gehörte oder ein gewöhnlicher Vertreter der englischen Mittelschicht war, der sich nur etwas leger für einen Abend zu Hause angezogen hatte. Wie einer von den Anwälten, die ich in meinem bisherigen Leben kennengelernt hatte, kam er mir jedenfalls nicht vor.
Ich wich etwas zurück und rief: »Wer ist da?«
»Gabriel«, antwortete der Mann. »Gabriel Ashcroft von der Wohnung unten. Ich suche Stanley.«
»Hier wohnt niemand, der so heißt«, gab ich zurück und drückte das Auge wieder gegen den Spion.
Gabriel Ashcroft rührte sich nicht von der Stelle.
Mit einem verwirrten Gesichtsausdruck starrte er die Tür an und
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