Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief
lassen. Walter James senior ist nicht nur Kenneths Schwiegervater, sondern sein Arbeitgeber und das Oberhaupt des Unternehmens. Insofern kann ich mir sehr gut vorstellen, dass Kenneth tatsächlich vor die Wahl Namensänderung oder Rauswurf gestellt wurde.« Aus den Augenwinkeln bemerkte ich ein schwarzes Schimmern. »Da bist du ja!«, rief ich.
Der Hunger hatte Stanleys Ängste offensichtlich besiegt. Verstohlen huschte der schwarze Kater in die Küche und erforschte zunächst jeden Winkel, ehe er sich beim Tisch blicken ließ und gebieterisch seinen Kopf an meiner Wade rieb. Ich verstand den Wink. Ich zerschnitt eine Scheibe vom Hähnchen und kippte die Stückchen in seine Schüssel. Gierig und unter lauten Schmatzgeräuschen machte er sich darüber her und ließ kleine Fetzen rund um den Napf auf den Boden fallen.
»Man könnte fast meinen, ich hätte ihn hungern lassen«, brummte Gabriel. Er nahm sich noch eine Scheibe Brot, riss sie in zwei Hälften und tunkte die Soße in seinem Teller auf. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das mit der Ausübung von Zwang so sehe wie du, Lori. Da Kenneth in der Firma für den Bereich Midlands zuständig war, muss er sein Metier beherrscht haben. Er hätte auch woanders eine Stelle finden können, wenn er mit seinem Schwiegervater nicht klarkam.«
»Es sei denn, seine Frau hatte was dagegen.« Ich kehrte zum Tisch zurück und setzte mich wieder.
»Sie könnte darauf bestanden haben, dass er für ihren Vater arbeitet.«
Gabriel nickte. »Stimmt, da könntest du recht haben. Aber ich habe immer noch Zweifel daran, dass unser ehrgeiziges Paar mit Druck dazu gebracht wurde, seinen Namen zu ›verbessern‹. Das Material, das du mir zu lesen gegeben hast, vermittelt mir den entschiedenen Eindruck, dass die beiden gesellschaftliche Aufsteiger sind.«
Ich zerstückelte eine weitere Scheibe Hühnerfleisch für Stanley, während ich mir noch mal den Inhalt einiger Zeitungsartikel in Emmas Ordner vor Augen hielt.
»Mit dem Ehrgeiz hast du recht«, gab ich zu.
»Dorothy hat nicht lockergelassen, bis sie die Vorsitzende einiger der angesehensten Wohltätigkeitskomitees war. Du weißt schon, was ich meine –
gebleichtes Haar, lächerliche Kleider, ein Orchester, das sich verkrampft darum bemüht, was Grooviges zu spielen.«
Gabriel schüttelte den Kopf. »Tut mir leid.
Nicht mein Gebiet. Meine Taschen sind für so was nicht tief genug.«
»Mein Gebiet ist es auch nicht gerade. Ich bin froh, dass diese Leute so viel Geld für wohltätige Zwecke auftreiben, aber in ihrer Gesellschaft bekomme ich Kopfschmerzen. Bill und ich sagen auf solche Einladungen ständig ab.
Wahrscheinlich haben wir auch schon Dorothy einen Korb gegeben. Ich habe definitiv Besseres zu tun, als den Reichen und Lächerlichen zu schmeicheln.«
»Dann lieber im St.-Benedict’s-Asyl Betten beziehen, was?« Gabriel schüttelte den Kopf. »Dorothy würde das befremdlich finden.«
»Dann ist das Empfinden bestimmt gegenseitig.«
Ich deutete auf den Ordner. »Hast du die Sache mit Kenneths Beförderung bemerkt?«
»Ja.« Gabriel zerkaute genüsslich ein Stück Bratkartoffel, dann legte er die Gabel beiseite und sah mir eindringlich in die Augen. »Fletcher Securities steht mit Sicherheit im Telefonbuch. Keiner braucht sich an der Straßenecke zu postieren und ihren Namen herauszuposaunen.«
»Emma hat uns den Hinweis gegeben, den wir gesucht haben«, sagte ich. »Wann brechen wir nach Newcastle auf?«
Gabriel lächelte. »Das hängt davon ab, ob du eine Nachspeise gemacht hast.«
Ich hatte tatsächlich ein Dessert vorbereitet – Blaubeerkuchen mit Streuseln, für den ich die eingefrorenen Beeren aus der Tiefkühltruhe genommen hatte, die die Zwillinge und ich im vorangegangenen Sommer gesammelt hatten. Für die lange Fahrt in den Norden von England war es aber auch so viel zu spät. Abgesehen davon stand Gabriels Verabredung zum Dinner im Wege. So vereinbarten wir, uns am nächsten Morgen um sieben Uhr in seiner Wohnung zu treffen und mit dem Rover nach Newcastle zu fahren.
Annelise brachte Will und Rob rechtzeitig zum Abendessen heim. Aus beiden sprudelten die wunderlichsten Geschichten über ihren ersten ganzen Tag mit Thunder und Storm. Noch ließ Kit sie nicht auf den Ponys reiten, aber immerhin hatte er ihnen erlaubt, das Sattelzeug zu putzen, die Boxen auszumisten und ihre neuen Freunde zu streicheln, wozu sie sich auf Heuballen hatten stellen dürfen.
Klagen hörte ich keine.
Von Stanleys
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