Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief
würde sie vertreiben. Als die Flammen die Scheite erfassten und das Feuer zu prasseln begann, stand ich auf und drehte mich mit einem müden Grinsen zu Reginald um, meinem kleinen rosa Stoffhasen, der in seiner eigenen Nische zwischen den Bücherregalen hockte.
Reginald wachte über mich, seit ich meinen ersten Atemzug getan hatte. In meiner ganzen Kindheit hatte ich ihm alles anvertraut, und ich sah keinen Grund, jetzt damit aufzuhören, nur weil ein paar Leute – meiner Meinung nach irrtümlich –
glaubten, dass ich erwachsen geworden sei.
»Hallo, Reg«, begrüßte ich ihn und berührte den verblassten Traubensaftfleck an seiner Nase.
»Hoffentlich war dein Tag lustiger als meiner.«
Eine Antwort erwartete ich nicht von ihm, doch ich entdeckte ein mattes Glimmern in seinen schwarzen Knopfaugen, dem ich entnahm, dass er mich zu einem gewissen Grad durchaus verstanden hatte. Ich streichelte seine rosa Stoffohren und griff dann nach dem blauen Notizbuch, mit dem ich mich in einem der beiden hohen Ledersessel vor dem Kamin niederließ. Mit einem tiefen Seufzer schlug ich es auf und starrte auf die leere Seite vor mir.
»Dimity«, sagte ich, »ich muss mit dir sprechen.«
Was ist passiert , Lori?
Mir schnürte sich die Kehle zusammen, als die altmodische Schreibschrift vor mir auftauchte, die Dimity in einer Zeit in der Dorfschule gelernt hatte, als Automobile noch eine seltene Kuriosität waren. Bis zu diesem Moment hatte ich zu sehr unter Schock gestanden, um zu weinen, aber jetzt begannen die Tränen zu fließen und brannten mir in den Augen.
Ich blinzelte heftig. »Es ist wegen Miss Beacham. Sie ist heute Morgen gestorben.«
Ach , mein liebes Kind , das tut mir wirklich leid .
Ich weiß , wie gern du sie mochtest .
»Keine Ahnung, warum sie mir so viel bedeutet hat.« Ich schniefte. »Eigentlich ist das doch albern, oder? Wir haben schließlich nur ein paar Stunden miteinander verbracht, ein paar wenige mickrige
…«
Das ist nicht albern , Lori . Du bist jemandem begegnet und hast dich ihm auf Anhieb verbunden gefühlt . In solchen Situationen ist Zeit ohne Belang .
»Genau das war es.« Ich nickte betrübt. »Ich war ihr auf Anhieb verbunden. Sie hatte etwas an sich, das mich berührt und nicht mehr losgelassen hat. Sie hatte ein Licht in den Augen, Dimity, einen Funken, der mich angezogen hat. Sie war klug und lustig und liebte Geschichte, und ich glaube, diese Helligkeit werde ich nie Wiedersehen.«
Sie war schwer krank , nicht wahr?
»Sie war todkrank«, räumte ich ein. »Lucinda hat mir von Anfang an klar zu verstehen gegeben, dass Miss Beachams Genesungschancen gleich null sind, aber wahrscheinlich habe ich schlichtweg verdrängt, wie schlecht es ihr ging. Sie hat sich überhaupt nicht beklagt, Dimity. Sie hat kein einziges Mal über ihre Krankheit gesprochen. Nicht mal das Krankenhaus hat sie erwähnt. Da hab ich wohl … ganz vergessen, warum sie dort lag.«
Hast du je daran gedacht , dass du ihr auch deinerseits gestattet hast , das zu vergessen? Du bist keine Ärztin oder Schwester . Du bist nicht zu ihr gekommen , um ihr Blut abzunehmen oder noch mehr schlechte Nachrichten zu überbringen . Dein einziger Wunsch war es , ihr eine angenehme Gefährtin zu sein . Du hast ihr eine Chance gegeben , an etwas anderes als ihre eigene Sterblichkeit zu denken .
»Dass sie sterblich war, ist mir nie in den Sinn gekommen«, murmelte ich bedrückt. »Wenn ich ihr in die Augen schaute, hab ich keine sterbende Frau gesehen. Ich hab sie gesehen!«
Was für ein wunderbares Geschenk du ihr gemacht hast , Lori . Du hast sie daran erinnert , dass sie mehr war als nur eine Patientin , nämlich etwas Ganzes , eine vollständig ausgebildete Persönlichkeit mit Interessen und Leidenschaften , die nichts mit ihrer Krankheit zu tun hatten . Wenn sie dir in die Augen blickte und die ihren sich darin spiegelten , sah sie mehr als eine sterbende Frau : Sie sah sich selbst .
»Hoffentlich hast du recht«, seufzte ich. »Ich würde gern glauben, dass ich ihr irgendwie geholfen habe. Aber ich weiß ja so wenig über sie. Ich hätte so gern viel mehr über sie erfahren, aber dafür ist es jetzt zu spät.«
Hat ihr Bruder sie je besucht?
Jäh packte mich die Wut. »Nein!«, stieß ich hervor. »Die Stationsschwester saß bei ihr, als sie starb. Der liebe Kenneth hat es nicht für nötig befunden, auch nur einmal aufzukreuzen, und das Krankenhaus kann ihn nicht aufspüren, weil es seine gegenwärtige Anschrift
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