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Tante Dimity und die unheilvolle Insel

Tante Dimity und die unheilvolle Insel

Titel: Tante Dimity und die unheilvolle Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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Zeit schien stillzustehen. Zugleich nahm ich alles viel schärfer wahr. Während ich zitternd mit dem Gesicht nach unten dalag, spürte ich jeden Kieselstein, wie er sich unter mir bewegte, hörte jeden einzelnen Regentropfen und jede gegen die Klippe krachende Welle. Genauso hörte ich das Knirschen des Gerölls unter sich langsam nähernden Schuhsohlen.
    Ich versuchte, mich auf die Knie zu stemmen, doch mein linker Arm war zu nichts zu gebrauchen. So wälzte ich mich auf den Rücken, um dem Kerl ins Auge blicken zu können. Über mir zeichnete sich ein Gesicht ab, weiß wie Milch vor dem Hintergrund des von Blitzen zerfetzten Himmels, mit Augen so schwarz und leer wie Lö cher in einem Kohleflöz. Zum zweiten Mal hob der Mann den Arm und richtete ihn auf mich.
    Die Luft selbst schien zu erbeben. Ein Donnerschlag dröhnte aus dem Herzen einer Wolke.
    Dann ein Lichtstrahl, der mir die Sicht raubte, gefolgt von einer ohrenbetäubenden Explosion.
    Felssplitter spritzten mir ins Gesicht, ein Grau, das meine Sinne betäubte, umhüllte mich, und ich versank in vollkommener Stille.

22
    TRAUM-UND WUNSCHLOS schwebte ich in dicke Wolken eingehüllt dahin. Irgendwas stimmte mit meinem Arm nicht, aber das war nicht so wichtig. Das Licht störte mich allerdings. Es war zu grell, zu aufdringlich. Und es zupfte an den fransigen Rändern meiner Erinnerung. Da war doch was gewesen … ein Aufblitzen, das mich blendete, ein Donnerschlag, zwei Augen, so schwarz wie die Abgründe der Hölle.
    Mein Herz krampfte sich zusammen, und die dicken Wolken verschwanden.
    »Meine Kinder«, flüsterte ich.
    »Sie sind hier«, sagte eine leise Stimme. »Sie wollten Sie nicht allein lassen.«
    Ich schlug die Augen auf. Der Raum war gar nicht so hell erleuchtet, wie ich gedacht hatte, auch wenn ich mir nicht ganz sicher war, ob der Dunst, der mir die Sicht vernebelte, in der Luft hing oder eingebildet war. Nach und nach trieb eine weiße Decke in mein Sichtfeld, dann ein dünnes Stahlgestell, ein Infusionsbeutel. Das Bett war bequem, aber fremd. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es sein mochte.

    »Lori?«, fragte die Stimme.
    Mit einiger Anstrengung fokussierte ich meinen Blick und erkannte Damian. Er stand an meinem Bett und schaute auf mich herab. Mit beiden Händen hielt er meine Rechte fest umschlossen.
    »Sie sind in Dr. Tighes Praxis«, sagte er sanft.
    »Will und Rob sind auch da.«
    Er wich etwas zur Seite, und jetzt erkannte ich am anderen Ende des weißen Raums zwei kleine Feldbetten, zwei gewölbte Decken und zwei praktisch identische verwuschelte Köpfe, die sich an zwei Kissen schmiegten.
    »Ihnen ist nichts passiert«, beruhigte mich Damian. »Sie haben nur darauf bestanden, die Nacht bei Ihnen zu verbringen.«
    »Meine tapferen Jungs …«, murmelte ich.
    »Sie haben außerdem darauf bestanden, dass ich Ihnen … das hier mitbringe.« Seine Hand löste sich von meiner und verschwand aus meinem Gesichtskreis. Als sie zurückkehrte, hielt sie mir Reginald vor die Nase. »Will und Rob haben mir gesagt, dass dieser kleine Bursche Ihnen helfen wird, sich zu erholen. Ich lege ihn aufs Nachttischchen, einverstanden?«
    Ich lächelte matt, während Damian meinen pinkfarbenen Stoffhasen auf den Tisch neben dem Bett setzte. Es war sehr rücksichtsvoll von ihm, dass er stand, dachte ich. So konnte ich sein Gesicht sehen, ohne mir den Nacken zu verrenken.
    Noch eine Erinnerung überfiel mich. »Andrew?«
    »Dr. Tighe ist gerade bei ihm«, informierte mich Damian. »Er hat einen üblen Schlag auf den Kopf abgekriegt, aber Dr. Tighe ist zuversichtlich, dass er sich vollständig erholen wird.«
    »Gott sei Dank.« Ich driftete kurzzeitig davon.
    Dann versuchte ich erneut, mich zu konzentrieren. »Warum bin ich hier?«
    Damians ernste Miene wurde weicher. Sanft strich er mir das Haar aus der Stirn. »Sie sind angeschossen worden, Lori. Die Kugel hat Sie direkt unter dem Schlüsselbein getroffen. Ihre Narbe wird später zu meiner passen.«
    »Ein Traum wird wahr«, sagte ich mit einem erstickten Kichern.
    Er umschloss wieder meine Hand. »Ich wusste, dass Ihnen das gefällt.«
    »Und mein Gesicht?« Ich spürte vage, dass auch dort nicht alles in Ordnung war.
    »Nur Schnitt-und Kratzwunden. Von Felssplittern. Die werden sauber verheilen.«
    »Keine Narben?«, fragte ich, irgendwie enttäuscht.

    »Tut mir leid.« Er zuckte bedauernd mit den Schultern. »Sie werden sich mit einer begnügen müssen. Ruhen Sie sich jetzt aus. Ihr Mann ist auf dem Weg

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