Tante Dimity und die unheilvolle Insel
Landesinneren zugewandte Flanke des Hügels endete nicht in steilen Klippen, sondern fiel in einer Serie von breiten, ausladenden Terrassen sanft zum Tal hin ab. Auf dem höchsten Plateau, das einen weiten Blick auf von Schafen gesprenkelte Felder bot, stand die Ruine des Klosters.
»Viel ist davon nicht übrig geblieben«, erklärte Peter. »Aber Mrs Muggoch hat uns gesagt, dass es ohnehin nie besonders viel darstellte. Es war keine reiche Abtei wie zum Beispiel Lindesfarne in Northumberland. Und es konnte sich nicht lange genug halten, um Reichtümer und Macht zu erwerben. Ein Außenposten, der eingegangen ist.«
Jetzt versahen umherziehende Schafe das Amt des Gärtners und hielten das Gras säuberlicher und leiser kurz, als das ein Rasenmäher vermocht hätte. Das erleichterte es uns, die Anlage der kleinen Gemeinschaft unter den zerbröckelnden Steinen zu erkennen. Sechs Säulen, die das einstige Längsschiff gestützt hatten, und ein paar Bodenplatten waren alles, was von der Kirche übrig geblieben war. Dazu wiesen die Stummel zerbrochener Bögen auf den Kreuzgang hin.
Etwa zwanzig Meter südlich vom Kloster entsprang plätschernd ein Bach und schnitt einen Graben in die Grasfläche. Die Terrassen darunter mochten früher einmal in Gartenparzellen zerteilt gewesen sein. Mir schien, dass die Mönche ihren Grund sehr klug gewählt hatten, bot er doch frisches Wasser, bebaubares Land und Schutz vor den Winterstürmen, die vom Westen heranfegten. Vor den Wikingern hatte er sie dennoch nicht bewahren können.
Ich blickte nach links, wo in der Ferne winzige Flecken in der Morgensonne schimmerten. Das waren die gepflegten Häuser von Stoneywell. Die marodierenden Nordmänner waren wie eine Feuersbrunst durch das Dorf gefegt, in das Tal eingefallen, wo sie die Bauernhöfe geplündert hatten, und waren weiter über den terrassenförmigen Hügel gezogen, um die Mönche niederzumetzeln, das Kloster seiner bescheidenen Schätze zu berauben und zu brandschatzen. Aus Sicht der Wikinger war das ein guter Tag gewesen.
»Die Mönche müssen gesehen haben, was auf sie zukam«, murmelte ich halb vor mich hin.
»Warum haben sie sich nicht irgendwo versteckt?«
»Wir werden es nie erfahren«, sagte Damian.
»Manche Antworten auf unsere Fragen sind zu tief in der Vergangenheit begraben. Wir können sie einfach nicht mehr bergen.«
»Andere Antworten dagegen«, warf Peter ein,
»liegen nur Zentimeter unter der Oberfläche. Um sie herauszuholen, muss man nur ein bisschen kratzen. Ich zeige es euch. Kommt mit.«
Im Zickzack gingen wir den Hügel bis zur höchsten Terrasse hinunter. Unser Ziel war ihre südlichste Kante, aber vorher schauten wir uns die Ruine an. Die geborstenen und zu Splittern zerfallenen Bodenplatten der ehemaligen Kirche führten zu einer rechteckigen Steinplatte, die sich nahe dem östlichen Ende befand. An dieser Stelle musste früher der Altar gestanden haben.
Die Steintafel schien ein Mahnmal zu sein, ähnlich der Platte über dem Grab des alten Laird auf Cieran’s Chapel, nur viel älter. Die Zeit hatte schon längst den Namen des Mannes getilgt, der darunter lag, aber die in den Stein gravierten Ornamente ließen sich noch erkennen: eine Bordüre mit Rautenmuster, die bei aller Schlichtheit von einem Meisterwerk zeugte.
»Nur den Abt des Klosters dürfte man so nahe beim Altar begraben haben«, kommentierte Peter.
»Armer Mann«, murmelte ich. »Ob auch er mit den anderen Mönchen sein Schicksal beklagt?«
»Klagende Mönche?«, fragte Peter neugierig.
»Davon hat Mrs Muggoch gar nichts erwähnt.
Hast du dir das gerade ausgedacht?«
»Sie nicht, aber vielleicht Sir Percy«, bemerkte Damian trocken. »Es macht ihm Spaß, Legenden auszuschmücken.«
Ich lächelte ihn an, dann klärte ich Peter auf.
»Percy hat uns gesagt, dass man in manchen Nächten, wenn der Mond und die Sterne in einer bestimmten Konstellation zueinander stehen, die Schreie der erschlagenen Mönche hören kann.«
»Fantastisch!«, rief Peter, den Blick interessiert auf die Steintafel gerichtet. »Ob uns Mrs Muggoch die genauen Koordinaten des Mondes und der Sterne geben kann?«
»Peter!«, schalt ihn Cassie. »Was für eine gefühllose Bemerkung! Außerdem schweifst du ab.
Wollen wir nicht lieber weitergehen?«
Wir setzten uns wieder in Bewegung, sprangen über den schnell strömenden Bach und erreichten den Rand des Plateaus, wo uns ein halb unter der Erde verborgener Felsbrocken als Bank diente.
Sobald wir saßen,
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