Tante Dimity und die unheilvolle Insel
deutete Peter auf eine Gruppe von Bauernhäusern nicht weit vom Fuß des Hü gels. Ein langer Kiesweg verband sie mit der Straße, die die Insel von Norden nach Süden durchquerte.
»MacAllens Croft«, erklärte er. »Schaut euch die Farm durchs Fernglas an und sagt mir, was ihr seht.«
Ich leistete seiner Aufforderung Folge und richtete mein Fernglas auf das Bauernhaus. Nach kurzer Zeit wandte ich mich den Wirtschaftsgebäuden zu, den Koppeln, den von Steinmauern eingefassten Feldern. So, wie Damian sich bewegte, ahnte ich bereits, dass er die Farm viel gründlicher begutachtete als ich. Schließlich ließ ich mein Fernglas sinken.
»Eine Farm«, sagte ich. »Oder wie sie hier in Schottland sagen, ein Croft. Es gibt ein Bauernhaus, Nebengebäude und Koppeln voller Schafe, die hier zu jedem Bauernhof gehören.« Ich zuckte mit den Schultern. »Nichts als eine Farm.«
Damian, der sein Fernglas immer noch nicht gesenkt hatte, sagte nachdenklich: »Aber eine sehr schöne Farm.«
»Genau!« Peter nickte begeistert, als wäre Damian sein Musterschüler.
»Schauen Sie noch mal hin«, schlug Cassie vor, die meine Verwirrung bemerkt hatte. »Die MacAllens haben eine Satellitenschüssel. Sie haben das Dach mit teuren Ziegeln gedeckt und die Fenster nach dem neuesten Stand isoliert. Und dann haben sie das Haus erweitert. Zu den ursprünglichen vier Räumen sind mindestens sechs weitere dazugekommen.«
»Die Schafe sind interessant«, ließ sich Damian vernehmen.
»Allerdings!« Peter geriet jetzt richtig ins Schwärmen. »Das sind North-Ronaldsay-Schafe, eine vom Aussterben bedrohte Rasse. Bei der letzten Zählung fand man auf dem Festland weniger als dreihundert Mutterschafe.«
Ich starrte ihn verblüfft an. »Woher um alles auf der Welt weißt du denn das?«
»Ich habe mit einer äußerst auskunftsfreudi-gen Dame im Informationszentrum des Cotswold Farm Park telefoniert«, antwortete er. »Miss Henson ist eine Expertin für gefährdete Haustierrassen. Ich habe ihr Mr MacAllens Schafe beschrieben, worauf sie mir alles über sie er-zählt hat. Die übrigen Schafe auf Erinskil sind ebenfalls prächtige Tiere, die Wolle von hoher Qualität liefern, aber nicht ganz so selten. Mr MacAllen ist ein Kenner erster Güte.«
»Ich verstehe immer noch nicht, worauf ihr hinauswollt, du und Cassie«, sagte ich, das Fernglas auf die Schafe gerichtet. »Mr MacAllens Croft ist gut in Schuss, und er besitzt ein paar ungewöhnliche Schafe. Ja und?«
»Das Croft ist nicht gut in Schuss, Lori«, korrigierte mich Cassie, »es ist perfekt. Wir haben es aus der Nähe begutachtet. Es gibt nicht eine Stelle, wo Farbe abblättert oder wo ein Dachziegel verrutscht wäre. Die MacAllens haben Zentral-heizung. Sie haben eine Sauna und einen Whirl-pool . So was findet man bestimmt nicht auf einem gewöhnlichen Bauernhof.«
»Aber es ist auch nicht völlig unerwartet«, wandte ich ein. »Wenn man auf einer Insel lebt, muss man eben zusehen, dass einem nicht lang-weilig wird.«
»Wenn MacAllens Croft die Ausnahme wäre, würde ich Ihnen zustimmen«, konterte Cassie.
Peter unterbrach unsere kleine Diskussion.
»Sehr verehrte Damen und Herren!«, rief er und hielt dabei die Hände als Trichter an den Mund.
»Ich hoffe, Beweisstück A hat Ihren Beifall gefunden. Folgen Sie mir nun bitte zu den Beweisstücken B bis … F, oder was würdest du sagen, Cassie?«
»Möglicherweise G«, sagte Cassie. »Wir waren ziemlich fleißig.«
»Das waren wir allerdings«, grinste Peter. Er erhob sich von seinem Stein und machte sich an den Abstieg. Erst kletterte er über Geröll, bis er einen Trampelpfad erreichte, der sich über die Flanken dieses und der benachbarten Hügel schlängelte. Ich war mir sicher, dass zahllose Schafe ihn durch ständigen Gebrauch für sich geschaffen und dabei nicht im Entferntesten an Menschen gedacht hatten, doch Peter bewältigte ihn so trittsicher wie eine Bergziege. Während ich hinter ihm herschlitterte, stattete ich Will und Rob stumm meinen Dank dafür ab, dass sie mich immer auf Trab und somit halbwegs fit hielten.
Die Stunden, die ich damit verbracht hatte, für sie den Kricketbällen hinterherzujagen, waren also keine Zeitverschwendung gewesen.
Peter forderte uns auf, bei einem Vorsprung anzuhalten, der über das Tal ragte, und deutete auf mehrere eng beieinanderstehende Bauten mit Blechdach, die sich hinter einem Bauernhaus mitsamt Nebengebäuden drängten.
»Die Schuppen für die Schafschur«, erklärte er.
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