Tante Dimity und die unheilvolle Insel
»Sie werden von den Gebrüdern Mackinnon betrieben, Neil und Norman. Die Mackinnons fliegen jedes Jahr mit ihren Frauen und Kindern nach Australien und Neuseeland zu den Meister-schaften im Schafescheren. Sie haben nicht wenige gewonnen.«
»Familienurlaube in Down-Under sind nicht gerade billig«, ließ sich Cassie vernehmen. »Und die Werkzeuge, mit denen sie ihre Schafe auf Erinskil scheren, sind es genauso wenig. Bei den Mackinnon-Brüdern ist alles auf dem neuesten Stand. So, weiter geht’s.«
»Moment mal.« In erster Linie bat ich um die Pause, weil ich noch zu etwas Atem kommen wollte, bevor wir wieder den Schafspfad in Angriff nahmen, aber auch, weil sich in meinem Kopf eine Erinnerung geregt hatte. »Als meine Jungs und ich mit Percy über die Insel geflogen sind, habe ich eine Frau draußen Wäsche aufhängen sehen. Wenn auf Erinskil alles hochmodern ist, warum hat sie dann keinen Wäschetrockner benutzt?«
»Das dürfte Siobhan Ferguson gewesen sein«, sagte Peter. »Mick Fergusons Schwiegertochter.
Sie mag keine Elektrogeräte. Bei ihr steht zwar auch ein Wäschetrockner rum, aber sie benutzt ihn nur, wenn das Wetter sie dazu zwingt.«
Schon war er wieder zum Trampelpfad gestürmt.
»Lasst uns weitergehen.«
Die nächste Etappe unserer Tour führte uns zum Sleeping Dragon, dem stacheligen Fels-kamm, den uns Sir Percy vom Helikopter aus gezeigt hatte. Eine Zeit lang gelang es mir, mit Peter mitzuhalten, aber mit seinen langen Beinen konnte er natürlich ungleich größere Schritte machen als ich mit meinen kurzen, sodass ich bald zurückfiel. Cassie blieb bei mir, und Damian hielt sich ohnehin immer in meiner unmittel-baren Nähe. Sehr schnell entwickelte ich eine tiefgehende Antipathie gegen die beiden. Wie ich das sah, war es rücksichtslos und vielleicht sogar unnatürlich von ihnen, sich ganz beiläufig zu unterhalten, während ich hechelte und keuchte!
»Wie habt ihr es geschafft, so viel über die Bewohner der Insel herauszufinden?«, fragte Damian die junge Frau. »Ihr seid ja erst eine knappe Woche hier, und die Einheimischen gelten als extrem zugeknöpft.«
»Das liegt an Peter.« Cassies betrachtete liebevoll den Rücken ihres weit vorausgeeilten Freundes und lächelte. »Peter könnte sogar eine Statue zum Reden bringen. Jeder – einfach jeder –
spricht mit ihm. Das liegt daran, dass er so be-geisterungsfähig ist, so aufrichtig und echt. Er interessiert sich wirklich für jedes Thema unter der Sonne – Schafsschur, Familiengeschichte, alles .«
»Warum ist er nicht an der Universität?«
Cassie lachte auf, und auch ich musste kichern, obwohl wir soeben die fast senkrechte Nordflanke des Sleeping Dragon in Angriff genommen hatten und meine Atemnot stetig zu-nahm. Wir wussten etwas, wovon Damian keine Ahnung hatte!
»Peter hat mit siebzehn sein Diplom gemacht«, klärte Cassie ihn freundlich auf. »Genauer gesagt hat er drei: in Naturgeschichte, Anthropologie und in Betriebswirtschaft.«
»Und welchen Betrieb möchte er später führen?«
»Den seiner Familie. Nach dem Tod seines Großvaters wird Peter das Gut der Familie in Hailesham erben. Er hat die Absicht, es so wie es ist für seine Kinder und Kindeskinder zu bewahren.«
Damian nickte. »Die Zukunft von Großbritannien ist offenbar wirklich in guten Händen.«
»Peter ist ein heller Junge«, stimmte ich keuchend zu.
Als wir endlich oben auf dem gezackten Grat ankamen, wartete Peter auf uns. Ich bestand auf einer Pause von zehn Minuten und trank eine ganze Flasche Wasser, ehe ich ihm zu der dem Landesinneren zugewandten Seite folgte und den besten Blick auf die Insel genoss, seit wir darüber hinweggeflogen waren. Der kleine See zu unseren Füßen glitzerte wie Quecksilber, die Windradfarm rechter Hand surrte geschäftig, und die Burg weit draußen im Norden auf ihrem Landvorsprung wirkte von hier aus wie eine Spiel-zeugfestung.
Doch Peter machte sogleich klar, dass er Damian und mich nicht hierhergeführt hatte, damit wir die Landschaft bewunderten. Sein Finger deutete von einem Gehöft zum nächsten, und dazu ratterte er die Informationen herunter, die Cassie und er über jedes einzelne gesammelt hatten.
Eine Familie züchtete seltene Orchideen, für die sie ein spezielles Gewächshaus hatte bauen lassen. Eine andere hatte sich auf die Zucht von Rennhunden spezialisiert. Eine dritte destillierte edlen Malzwhisky, der nur auf Erinskil erhältlich war. Sämtliche Bauernhäuser waren erweitert und renoviert worden,
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