Tante Inge haut ab
doch.«
»Na, wenigstens schreit sie nicht dabei«, meinte Johann.
»Warum macht sie das nicht am Strand?« Stirnrunzelnd stand Gudrun auf. »So kommt doch keiner an ihr vorbei. Und wieso sollte sie schreien?«
»Sie schrie vorhin«, antwortete Johann, »bei der Eroberung der Meere.«
»Wenn's hilft. Trotzdem könnte sie dazu runter an den Strand gehen, da kommen gerade Leute hoch.«
Tatsächlich gab es einen kleinen Stau am Durchgang, weil wirklich niemand an der Dame vorbeikam. Christine hatte ihre Sonnenbrille vergessen, sie legte ihre Hand über die Augen, um etwas zu erkennen, aber im Gegenlicht war das schwer und sowieso unwichtig. Sie lehnte ihren Kopf wieder an die Wand, schreckte aber sofort hoch, als sie die Stimme erkannte:
»Renate, du stehst hier aber wirklich ungünstig.«
Eine halbe Stunde später saß Christine mit gequältem Gesichtsausdruck neben Johann, dessen andere Nachbarin Renate war. Inge hatte ihr gegenüber Platz genommen, neben ihr die nette Anke und ihr Mann Heiner. Renate redete. Ununterbrochen. Über die Einflüsse von Sonne und Wasser, über salzige Luft und sich selbst. Johann war so dicht an Christine rangerutscht, dass ihr schon das Bein von dem Druck einschlief. Das schien Renate nicht zu stören, sie rückte einfach nach. In etwa fünf Minuten würde Christine von der Bank stürzen, sie war sich sicher, dass das von Renate unbemerkt bleiben würde.
»Ja, wie gesagt, ich war damals mit meinem Exmann hier. Ihm war die Natur ja total egal, er wollte seinen neuen Porsche zeigen, Austern essen und Prominenz sehen. Und natürlich auch selbst gesehen werden. Gott, war das nervig, Männer eben. Man lebt wirklich besser ohne sie. Die Erfahrung habe ich wirklich gemacht.« Ohne auf die betretenen Mienen von Anke, Heiner und Inge zu achten, wandte sie sich Johann zu und legte ihm ihre beringte Hand auf sein nacktes Knie. Johann rutschte noch ein Stück näher zu Christine, wobei er entsetzt auf die knallroten Nägel starrte. Christine verlor das Gleichgewicht, stützte sich mit einer Hand am Boden ab, klammerte sich mit der anderen an den Tisch und wagte sich nicht mehr zu bewegen.
»Aber Sie wohnen nicht mit Inges Nichte zusammen, oder? Mit Christiane?« Renate drückte kurz Johanns Knie.
Christine stöhnte auf.
»Wie hängst du da eigentlich so komisch am Tisch?«, sagte Inge und dann zu Renate gewandt, »sie heißt übrigens Christine und nicht Christiane. Kind, setz dich doch hierher, wenn du da so wenig Platz hast.«
Wie erwartet nahm Renate keinerlei Notiz von Christines Lage. Wenn sie jetzt den Tisch losließ, würde sie von der Bank fallen. Und Johann ließ sich anbaggern und dachte nicht daran, ihr zu helfen. Christine stöhnte wieder, diesmal lauter. Keine Reaktion.
»Lassen Sie es lieber«, fuhr Renate unbekümmert fort, »dieses Zusammenleben ist nämlich das reine Gift. Ich sage immer, Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen. Einige begreifen das leider erst viel zu spät, da haben sie schon vierzig Jahre verplempert. Und dann werden sie plötzlich hektisch und rennen zum Anwalt, anstatt das erst mal in Ruhe mit ihren Freundinnen zu besprechen, die damit Erfahrung ...«
»Johann!« Noch konnte Christine balancieren und gleichzeitig reden, lange ging das nicht mehr.
Er schreckte hoch. »Was machst du da, Christine?«
Im selben Moment fiel sie von der Bank. Renate schüttelte missbilligend den Kopf. Tante Inge guckte komisch.
Erst im Auto endete Johanns Selbstdisziplin. Christine hatte sich noch nicht einmal angeschnallt, als es ihn förmlich
zerriss. Es hatte mit einem feinen Lächeln angefangen, woraus ein etwas dämliches Grinsen wurde, und auf Christines Frage, was ihn denn so amüsiere, bekam er einen dermaßen unkontrollierten Lachkrampf, dass sie den Motor wieder abstellte.
Nach zehn Minuten beruhigte er sich langsam und sah sie mit tränenden Augen an.
»Himmel, ich habe gedacht, ich überlebe sie nicht. Hast du mitbekommen, dass sie ... Brühe ... ?« Er prustete schon wieder los.
Renate hatte Gudrun nach dem dritten Saunagang um eine Brühe gebeten. Kein Wasser, keine Apfelsaftschorle, weder Weiß- noch Rotwein oder Bier, nein, die Dame verlangte eine Brühe. Hühnerbrühe, wegen des Salzverlusts. Gudrun hatte sie so lange angestarrt, bis Renate sich mit dem Satz: »Schon sehr einfach hier, sie kennt keine Brühe«, wieder an den Tisch gesetzt hatte. Gudrun starrte immer noch.
Danach hatte Renate sich auf Johann gestürzt. Ziemlich
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