Tante Inge haut ab
Ruhe gefreute hatte.
»Ich brauche Platz für meine Sachen.«
Inge schwieg, stellte ihre Basttasche neben den Korb und folgte Renate in die Sauna.
Die Sauna war leer. Renate breitete ihr Handtuch auf der obersten Bank aus und legte sich auf den Rücken. Sie schloss die Augen und atmete sehr tief ein und sehr laut aus. Inge setzte sich gerade hin und sah aus dem Fenster hinüber zum Fahnenmast. Es war sehr ruhig, bis auf die hechelnden Atemzüge über ihr.
»Kriegst du keine Luft?« Das Hecheln hörte auf. »Das ist bewusste Atemtechnik. Ozeanische Atmung. Du musst dich auf die Entspannung einlassen.«
Sie hechelte weiter. So lange, bis die Tür geöffnet wurde.
»Hallo.« Der Mann warf einen Blick auf die Sanduhr, die Renate erst vor fünf Minuten umgedreht hatte, dann fragte er: »Können Sie mir da oben ein bisschen Platz machen?«
Renate schwang ihre Beine so schnell runter, dass sie Inge im Kreuz traf. »Ach, du sitzt da, Entschuldigung, ich habe dich gar nicht gesehen. Natürlich, setzen Sie sich doch.«
Inge rutschte ein Stück nach vorn, sonst hätte er sie auch noch mal getroffen. Schließlich saß er. Renate ließ ihm nicht sehr viel Zeit, sich auf die Entspannung einzulassen.
»Sind Sie öfter hier?«
»Ja. Wir kommen seit Jahren regelmäßig her. Ein sehr schöner Ort.«
»Ich bin das erste Mal hier. Sehr nett, wenn auch etwas einfach.«
Inge dachte, dass sie es nicht leiden konnte, wenn in der Sauna geredet wurde. Das ging wohl nicht allen so.
»Finden Sie? Ich mag es ja so, das ist so naturnah.«
»Genau, ich bin ja auch sehr für Natur«, beeilte sich Renate zu sagen, während Inge schnell wieder den Kopf zum Fenster drehte und sich auf den Ausblick konzentrierte. »Ich war lange nicht mehr auf Sylt, die Insel hat sich ja sehr verändert. Aber, Gottchen, das ist wohl der Lauf der Dinge. Ich wohne übrigens im >Ulenhof< in Wenningstedt, kann ich nur empfehlen. Und Sie?«
Inge räusperte sich, was aber niemanden störte.
»Wir haben eine Ferienwohnung in Kampen, also, die gehört uns. Wir sind oft hier. Meine Frau stammt von der Insel. Wir leben in Hamburg, das ist ja nur ein Katzensprung. Und die Kinder nutzen die Wohnung auch, jetzt sogar schon mit ihren eigenen Kindern.« »Nein, das hätte ich ja nicht gedacht, dass Sie schon Enkelkinder haben. Sie wirken noch so jugendlich. Ist Ihre Frau nicht mit?«
Er beugte sich vor, so dass Inge schon wieder ausweichen musste, und klopfte mit dem Knöchel an die Fensterscheibe. Eine grauhaarige, schlanke Frau im weißen Bademantel drehte sich um. Sie kam Inge irgendwie bekannt vor.
»Das ist meine Frau«, sagte der Mann stolz, während er sich wieder zurücklehnte, »sie kommt sicher auch gleich rein.«
»Ach so«, Renates Ton war sofort zehn Grad kühler, »dann sollten wir schon mal rutschen. Inge, lass mich mal neben dich, hier oben ist es so heiß.«
Während sie sich umständlich setzte, ging die Tür wieder auf.
»Guten Tag. Wieso hast du geklopft?« Der weiße Bademantel war durch ein graues Saunatuch ersetzt worden. Sie setzte sich neben ihren Mann.
»Ich habe mich mit den Damen hier unterhalten und erzählt, dass du Sylterin bist.«
»Das ist meine Freundin hier auch.« Renate klang pampig. Vielleicht machte ihr die Hitze zu schaffen. Inge drehte sich um und nickte dem Ehepaar freundlich zu.
»Inge? Inge Müller?«
»Ja? Also, ich weiß jetzt nicht ...« Die Beleuchtung war nicht sehr gut. »Tut mir leid, ich weiß wirklich nicht...«
»Anke. Anke Petersen, jetzt Anke Meisner. Dann warst du es gestern doch! Ich habe dich in Westerland gesehen, als du bei Kampmann rausgekommen bist. Ich habe noch überlegt, ob du es tatsächlich bist, aber bevor ich rufen konnte, warst du schon um die Ecke. Das ist ja toll, wie geht es dir denn ?«
»Anke. Das gibt es nicht! Deine Haare sind ja kurz. Und du bist so schlank geworden, ich habe dich gar nicht erkannt. Wir haben uns mindestens fünfzehn Jahre nicht gesehen!« Renate warf einen kurzen Seitenblick auf Anke und starrte dann demonstrativ auf die Sanduhr.
Inge freute sich, mit Anke war sie damals zur Tanzschule gegangen. Sie waren befreundet gewesen, bis sie die Insel mit Mitte zwanzig verließen, danach war der Kontakt spärlich geworden.
Ihr Mann hatte Inge freundlich zugenickt und fragte nun: »Wer ist denn Kampmann?«
»Der Anwalt in der Boysenstraße. Wie lange bist du hier, Inge?«
»Wie? Anwalt?«, zischte Renate Inge zu, die aber darüber hinwegging.
»Weiß ich noch nicht.
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