Tante Inge haut ab
wichtige Geschäfte dazwischengekommen, egal, sie werden sich schon melden, wir hatten ja gestern so viel Spaß ...«
Inge hatte sich gehütet, nach Details zu fragen, was Renate sichtlich enttäuschte. Dann war ihr aber etwas anderes eingefallen.
»Erzähl doch mal von dem Anwalt. Hast du die Scheidung beantragt?«
»Nein«, Inge hatte erleichtert die Auffahrt von Petras Haus erblickt, »habe ich nicht.«
»Noch nicht«, korrigierte Renate, »ich hatte aber auch erst ein Vorgespräch. Gehen wir noch zusammen essen?«
Sie hatte den Porsche einigermaßen zivil geparkt, und Inge hatte ihr kurz die Hand auf den Arm gelegt.
»Nein, Renate, ich bin total kaputt. Ich sehe noch ein bisschen fern und gehe dann ins Bett. Sei nicht böse, vielen Dank fürs Herbringen.«
Sie hatte sich um ein verbindliches Lächeln bemüht und die Tür geöffnet.
»Das ist doch nicht dein Ernst!« Renate war konsterniert gewesen. »Es ist noch nicht mal sieben.« »Doch.« Inge hatte schon ein Bein außerhalb des Autos gehabt. »(Jute Nacht.«
»Deine Familie zieht dich wirklich völlig runter. Du mutierst wieder zur langweiligen Hausfrau.«
»Du irrst«, Inges Stimme war freundlich geblieben, »du irrst sogar gewaltig. Ich muss morgen früh aufstehen. Morgen Abend gehen wir in Ruhe essen, und ich erzähle dir ein paar Neuigkeiten.« Vielleicht, hatte sie in Gedanken hinzugefügt, und dabei das Gefühl gehabt, es ruhig auf einen Streit und den folgenden Bruch mit Renate anlegen zu können. Die hatte kurz in die Hände geklatscht und Inge angestrahlt.
»Du machst es aber auch spannend! Ja dann, toi, toi, toi und Waidmannsheil oder so. Melde dich, sobald du zurück bist. Tschüssi.«
Inge hatte dem Porsche hinterher gesehen. Sie kannte keine Frau, die auch nur ein bisschen wie Renate war.
Und jetzt saß sie hier auf dem Bett und regte sich langsam wieder ab. In Bad Oeynhausen war sie so glücklich gewesen, jemanden wie Renate kennenzulernen. Sie kannte das Leben, fand Inge, und zwar in- und auswendig. Inge hatte in den Wochen ganz viel über ihr eigenes Leben nachgedacht, das war ganz neu für sie. Eigentlich hatte sie immer geglaubt, es gehörte alles so, wie es war. Aber es hatte doch immer wieder die Tage gegeben, an denen sie schlechte Laune hatte. Walter mit seinen eingebildeten Krankheiten, die furchtbaren neuen Nachbarn von gegenüber, die vertrauten Geschäfte, die alle schlössen, ihre beste Freundin Hermine, die plötzlich zu ihrer Tochter nach Berlin zog, ihre eigene Tochter, die kaum noch nach Hause kam, weil sie Dortmund neuerdings so piefig fand, es war alles nicht mehr so leicht wie früher. Vielleicht erfand Walter deshalb seine Krankheiten. Weil das Leben so furchtbar langweilig geworden war.
Inge hob den Kopf und sah aus dem Fenster. Zwei Paare saßen im Garten und tranken Rotwein. Der Himmel war immer noch strahlend blau. Das würde sich jetzt ändern, dieses langweilige Leben. Wenn nicht jetzt, wann dann? Der Anfang war schon gemacht.
Walter trug einen schrillgrünen Turban. Denselben hatte Renate in der Sauna getragen, um ihre Haare zu schonen. Warum sie ihn wohl verliehen hatte? Walters Haare waren doch gar nicht so empfindlich. Er hatte ein rotes Tuch um seinen Bauch geschlungen, vorn war es kürzer als hinten. Mit einem Taschenrechner in der Hand schritt er das Gelände der Strandsauna ab und rief: »Hier könnte man 1478 Strandkörbe unterbringen. Sie müssen nur enger stehen. So erhöhst du den Profit.«
Gudrun nickte ihm ernst zu und trank Brühe.
Renate hockte vor dem Fahnenmast. Sie harte eine Nagelfeile in der Hand und sägte mit hektischen Bewegungen am Metallfuß. Das Geräusch ging Inge auf die Nerven. Sie wollte Renate bitten, damit aufzuhören, aber ihr Mund war so trocken. Sie musste husten. Das Geräusch hörte auf. Na bitte. Ihr Nacken tat weh. Und irgendwas war komisch. Sie öffnete die Augen.
Inge lag seitlich auf dem Bett, unter ihrem Kopf die Basttasche. Ihr Blick fiel auf den Wecker neben ihr. 21.14 Uhr. Sie war einfach eingeschlafen. Walter würde auch nie einen Turban tragen. Sie bewegte langsam den Kopf und wollte sich aufsetzen, als Renate wieder mit der Nagelfeile anfing. Aber der Traum war doch vorbei. Schlaftrunken begriff Inge langsam, dass das Geräusch aus dem anliegenden Wohnzimmer kam. Vom Fenster. Irgendjemand sägte. Aber sie wohnte im ersten Stock. Ihr Puls begann zu jagen, dann hörte sie, wie das Fenster vorsichtig aufgestemmt wurde. Jetzt wurde ihr übel. Sie guckte
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