Tante Inge haut ab
da. Christine legte ihr Besteck auf den Teller und schob ihn zurück. Ich platze gleich. Und ich hätte mir das Kleid eine Nummer größer kaufen sollen.«
»Wieso?« Johann sah sie kauend an. »Das sitzt doch wunderbar.«
»Aber es kneift.«
Unauffällig versuchte Christine, den Gürtel in der Taille zu lockern. Es ging nicht. Sie hatte das Kleid einen Tag zuvor im Fenster einer Westerländer Boutique gesehen und es sofort anprobiert. Die Verkäuferin hatte sie angelächelt und begeistert genickt.
»Sehr weiblich, sehr körperbetont, es steht Ihnen hervorragend.«
Körperbetont, dachte Christine, so kann man es auch nennen, sie fand es zu klein. Sie sah ein bisschen aus wie Wurst in der Pelle.
»Ist es hier nicht zu eng?« Unsicher strich Christine über den strammen Stoff an der Hüfte. Die Verkäuferin schob sich energisch vor den Spiegel.
»Aber nein, das ist ein Etuikleid, das muss genauso sitzen.«
»Kann ich es mal eine Nummer größer anprobieren?«
»Leider ist dieses Modell unser letztes. Aber glauben Sie mir, es sitzt perfekt, Sie haben doch so eine hübsche Figur.«
Natürlich war das ein Totschlag-Argument, trotzdem fiel Christine darauf rein. Beim Bezahlen war sie immer noch unsicher, dafür wurde das teure Stück erst in Seidenpapier und dann in eine umwerfend schöne Tüte gepackt.
Und jetzt kniff es nach der Scholle. Johann lehnte sich zufrieden zurück und legte die Serviette auf den Tisch.
»Großartig. Die beste Scholle, die ich je gegessen habe.« Er sah aus dem Fenster. »Guck mal, ist das nicht diese Fernsehmoderatorin, die da aussteigt? Die du so doof findest?«
Christine folgte seinem Blick. Tatsächlich, es war die blonde Ansagerin, die sie noch nie leiden konnte. Sie war so glatt, so mädchenhaft, so süß. Grauenvoll.
Zusammen mit ihrem gutaussehenden Begleiter betrat sie das Restaurant. An der Garderobe half er ihr galant aus dem dünnen, vermutlich brandteuren Sommermantel und ... Christine schluckte. Diese Tina Sowieso war nicht nur viel hübscher als im Fernsehen, nein, sie war auch schätzungsweise fünfzehn Jahre jünger und ungefähr fünfzehn Kilo leichter als Christine und trug - dasselbe Kleid. Nur, dass es ihr passte. Da kniff nichts.
Johann sah von ihr zu Christine und verbiss sich ein Grinsen. »Da habt ihr doch tatsächlich den gleichen Geschmack. Hättest du das gedacht?«
»Sehr witzig.« Von wegen, das Kleid musste so sitzen. Auf Tinas Hüften lag der Stoff locker. Und die Querfalte auf dem Bauch gab es auch nicht. »Morgen gehe ich zurück in die Boutique und bringe diese Verkäuferin um. Ganz langsam. Damit sie schön leidet.«
»Wieso das denn? Du siehst in diesem Kleid toll aus. Es wirkt bei diesem jungen Huhn doch ganz anders.«
Ja, klar, dachte Christine, der passt es ja auch. Trotzdem lächelte sie Johann an, er konnte schließlich nichts dafür. Aber es war ärgerlich. Ausgerechnet diese dünne Tina. Und dann war die auch noch so jung. Und doof.
»Es ist doch ungerecht, dass diese Mäuse beim Fernsehen so viel Kohle verdienen, nur weil sie jung und blond sind. Dafür sind die mit Mitte dreißig fertig, da will sie dann niemand mehr sehen.« Johann grinste. »Ein bisschen was werden die schon können. Aber das ist auch in Ordnung, sie sind ein paar Jahre gut im Geschäft, danach machen sie was anderes.«
Tina und ihr Begleiter bestellten rosa Champagner. Das war klar. Hauptsache trendy.
»Was anderes? Irgendwann ist sie nicht mehr jung und hübsch. Was kann die dann noch machen?«
Johann hob sein Glas. »Tja, dann kannst du sie ja in deinen Verein aufnehmen. Du fängst ja auch nichts anderes mehr an. Dann seid ihr schon zu zweit.«
»Das kannst du ja wohl nicht miteinander vergleichen. In meinem Leben hat sich dauernd was verändert. Jobs, Wohnungen, neue Städte, ich habe garantiert schon mehr neue Dinge angefangen, als die Maus da Klamotten im Schrank hat.«
Etwas zu forsch trank Christine ihren Wein aus, so dass sie sich prompt verschluckte.
»Apropos«, Johann tat so, als wäre ihm gerade etwas eingefallen, »ich habe dir was mitgebracht.« Umständlich suchte er in seinen Jackentaschen, bis er eine zusammengefaltete Zeitungsseite hervorzog, die er ihr hinschob. »Lies mal.«
Christine überflog den Artikel, dann sah sie Johann verständnislos an und las laut vor: »Die Turnmädchen vom TuS Oberneuland hatten viel Spaß bei ihrem Ausflug auf die Insel Neuwerk. Sie grillten Würstchen und schliefen im Heuhotel, ihre Betreuer hatten
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