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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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sie sich die Haare wusch, ein Telephongespräch ihrer Mutter mit Tante Jesus mitangehört. Ihr hätten sich die Haare gesträubt, als sie hörte, wie man von »dem Pärchen« sprach, und merkte, daß von uns die Rede war. Es war nicht ganz klar, aber man hatte unsere Liebesgeschichte schon vor geraumer Zeit entdeckt, denn Tante Laura hat gesagt: »Und stell dir vor, sogar Camunchita hat diese Schamlosen einmal Hand in Hand im Olivar von San Isidro gesehen.« (Das stimmte tatsächlich, an einem einzigen Nachmittag, vor Monaten.) Als die kleine Nancy (»am ganzen Leib zitternd«, sagte sie) aus dem Badezimmer kam, stand sie Auge in Auge ihrer Mutter gegenüber und versuchte, sich zu verstellen, die Ohren sausten ihr vom Lärm des Föns, sie könne nichts hören, aber Tante Laura hieß sie schweigen und fuhr sie an, sie decke noch diese Verlorene.
    »Die Verlorene bin ich?« fragte Tante Julia eher neugierig als zornig.
    »Ja, du«, erklärte meine Cousine und wurde ganz rot. »Sie glauben, du hättest damit angefangen.«
    »Das stimmt, ich bin minderjährig. Ich lebte in Ruhe und Frieden, studierte Jura, bis …« sagte ich, aber niemand fand mich komisch.
    »Wenn sie erfahren, daß ich es euch erzählt habe, bringen sie mich um«, sagte Nancy. »Bitte sagt kein Wort, schwört es bei Gott.«
    Ihre Eltern hatten sie strengstens verwarnt, wenn sie irgendeine Treulosigkeit begehe, würden sie sie für ein ganzes Jahr einsperren, sie nicht einmal zur Messe aus dem Haus lassen. Sie hätten so feierlich zu ihr gesprochen, daß sie ernsthaft gezögert habe, es uns zu erzählen. Die Familie habe von Anfang an alles gewußt und eine diskrete Zurückhaltung gewahrt, weil sie glaubte, es sei nur eine Dummheit, der nichtssagende Flirt eines lockeren Frauen zimmers, das eine exotische Eroberung, einen Jüngling in ihrer Sammlung haben wollte. Aber da Tante Julia nicht einmal mehr Skrupel habe, sich auf der Straße mit dem jungen Bengel zu zeigen, und immer mehr Freunde und Verwandte diese Liebesgeschichte mitbekämen – sogar die Großeltern hätten davon erfahren, weil Tante Celia geklatscht habe – und weil das schließlich eine Schamlosigkeit sei und dem Kleinen (also mir) schaden könne, der, seit ihm die Geschiedene Flöhe ins Ohr gesetzt habe, möglicherweise keine Lust mehr habe zu studieren, habe die Familie nun beschlossen, einzugreifen.
    »Und was wollen sie zu meiner Rettung unternehmen?« fragte ich noch immer ohne allzu große Angst. »Deinen Eltern schreiben«, antwortete Nancy. »Sie haben es schon getan. Die Ältesten, Onkel Jôrge und Onkel Lucho.« Meine Eltern lebten in den USA, und mein Vater war ein strenger Mann, den ich sehr fürchtete. Ich war fern von ihm bei meiner Mutter und ihrer Familie aufgewachsen, und als meine Eltern sich wieder aussöhnten und ich mit ihnen zusammenlebte, kamen wir nur schlecht miteinander aus. Er war konservativ, autoritär und von kaltem Zorn, und wenn es stimmte, daß sie ihm geschrieben hatten, würde diese Nachricht wie eine
    Bombe einschlagen, und er würde sehr heftig reagieren. Tante Julia nahm unter dem Tisch meine Hand. »Du bist ganz blaß geworden, Varguitas. Jetzt hast du ein Thema für eine gute Erzählung.«
    »Das beste ist, man behält einen kühlen Kopf und ruhigen Puls«, munterte Javier mich auf. »Hab keine Angst, wir arbeiten eine gute Strategie aus, um dem Ungewitter zu begeg-
    »Mit dir sind sie auch böse«, eröffnete ihm Nancy. »Sie halten dich auch für – für dieses Scheußliche.« »Kuppler?« lächelte Tante Julia. Und sich wieder an mich wendend, wurde sie traurig: »Was mich ganz unglücklich macht, ist, daß sie uns trennen werden und ich dich nie wiedersehe.“
    »Das ist Kitsch, das kann man nicht so sagen«, erklärte ich ihr.
    »Wie gut sie sich verstellt haben«, sagte Tante Julia. »Weder meine Schwester noch mein Schwager, keiner deiner Verwandten hat jemals eine Andeutung gemacht, daß sie irgend etwas wissen und daß sie mich verabscheuen. Immer waren sie so liebevoll zu mir, diese Heuchler.«
    »Ihr müßt sofort aufhören, euch zu treffen«, sagte Javier. »Julia muß mit Verehrern ausgehen, und du andere Mädchen einladen. Damit die Familie denkt, ihr hättet euch zerstritten.« Mutlos nickten Tante Julia und ich; dies war die einzige Lösung. Aber als Nancy ging – wir schworen, sie niemals zu verraten – und Javier sich verabschiedet hatte und Tante Julia mich zu Radio Panamericana begleitete, wußten wir beide, während wir

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