Tante Julia und der Kunstschreiber
nieder geschlagen Hand in Hand die regennasse Belén hinuntergingen, ohne daß wir es uns zu sagen brauchten, daß diese Taktik die Lüge sehr schnell in Wahrheit verwandeln konnte. Wenn wir uns nicht mehr sähen, wenn jeder seiner 'Wege ginge, würde früher oder später unsere Liebe vorbei sein. Wir wollten täglich zu einer bestimmten Zeit miteinander telephonieren und verabschiedeten uns mit einem langen Kuß. Im klapprigen Fahrstuhl zu meinem Dachverschlag hatte ich, wie schon so oft, das unerklärliche Bedürfnis, Pedro Camacho von meinem Kummer zu erzählen. Das war wohl eine Art Vorgefühl, denn in meinem Büro erwarteten mich die wichtigsten Mitarbeiter des Schreibers aus Bolivien: Luciano Pando, Josefina Sânchez und Batân. Sie unterhielten sich angeregt mit dem Großen Pablito, während Pascual Katastrophen in die Nachrichten einarbeitete (er beachtete mein Verbot, Tote einzuschmuggeln, selbstverständlich nie). Sie warteten geduldig, bis ich Pascual bei den letzten Nachrichten geholfen hatte, und als dieser und der Große Pablito sich verabschiedet hatten und wir vier allein in dem Verschlag waren, sahen sie sich unschlüssig an, bevor sie sprachen. Zweifellos ging es um den Künstler. »Sie sind sein bester Freund, darum sind wir zu Ihnen gekommen«, murmelte Luciano Paco. Er war ein gebeugtes Männchen, sechzig Jahre alt, mit Augen, die in entgegengesetzte Richtungen blickten, und der Tag und Nacht, sommers wie winters, einen speckigen Schal trug. Ich kannte ihn nur in diesem braunen Anzug mit blauen Streifen, der vom vielen Reinigen und Bügeln nur noch die Ruine eines Anzugs war. Sein rechter Schuh hatte eine Narbe am Rist, wo der Strumpf heraussah. »Es geht um eine sehr heikle Angelegenheit. Sie können sich wohl vorstellen …“
»Ich habe keine Ahnung, Don Luciano«, sagte ich. »Sprechen Sie von Pedro Camacho? Nun ja, wir sind Freunde, obwohl Sie wissen, daß er ein Mensch ist, den man niemals richtig kennenlernt. Ist etwas mit ihm?«
Er nickte, blieb aber stumm und besah seine Schuhe, als bedrücke ihn, was er mir sagen wollte. Ich befragte seine Kollegin und Batân, die beide ernst und still dastanden, mit den Augen.
»Wir tun das nur aus Zuneigung und aus Dankbarkeit«, flötete Josefina Sanchez mit ihrer wundervollen Samtstimme. »Niemand außer uns kann ermessen, was wir Pedro Camacho verdanken, junger Mann, nur wir, die wir in diesem so schlecht bezahlten Metier arbeiten.«
»Wir sind immer das fünfte Rad am Wagen gewesen, niemand hat sich je um uns gekümmert, immer hatten wir einen solchen Minderwertigkeitskomplex, daß wir uns selbst für den letzten Dreck gehalten haben«, sagte Batân so gerührt, daß ich sofort an einen Unfall dachte. »Erst durch ihn haben wir unseren Beruf erkannt, haben wir begriffen, daß es ein künstlerischer Beruf ist.«
»Sie sprechen, als wäre er gestorben«, sagte ich. »Denn, was täten die Leute ohne uns?« zitierte Josefina ihr Idol, ohne mich zu hören. »Wer gibt ihnen die Illusionen, die Gefühlsbewegungen, die ihnen helfen zu leben?« Sie war eine Frau, der diese wunderschöne Stimme gegeben worden war, um sie auf irgendeine Weise für die Ansammlung von Fehlentwicklungen zu entschädigen, die ihren Körper ausmachten. Es war ganz unmöglich, ihr Alter zu bestimmen, obwohl sie sicher ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel haben mußte. Von Natur aus dunkelhaarig, bleichte sie sich die Haare, die strohgelb aus einem granatfarbenen Turban quollen und über ihre Ohren fielen, ohne diese jedoch zu verdecken, leider, denn sie waren riesengroß und weit abstehend, als wären sie begierig auf die Geräusche dieser Welt gerichtet. Aber das Auffallendste an ihr war ihr Doppelkinn, ein Beutel aus Hautfalten, der über ihre farbenfrohen Blusen fiel. Sie hatte dichten Flaum auf der Oberlippe, den man durchaus als Schnurrbart bezeichnen konnte, und hatte die scheußliche Angewohnheit, ihn, während sie sprach, zu streichen. Sie trug feste, elastische Fußballstrümpfe, weil sie unter Krampfadern litt. Zu jeder anderen Zeit hätte ihr Besuch meine Neugier gereizt, aber an diesem Abend war ich zu sehr mit meinen eigenen Problemen beschäftigt.
»Natürlich weiß ich, was alle Pedro Camacho verdanken«, sagte ich ungeduldig. »Seine Hörspielserien sind schließlich die beliebtesten in Peru.«
Ich sah, wie sie untereinander einen Blick wechselten und sich Mut machten.
»Genau«, sagte schließlich Luciano Pando ängstlich und kummervoll. »Zuerst haben
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