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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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wir es nicht so wichtig genommen. Wir dachten, es wären nur Versehen, kleine Schnitzer, die jedem einmal passieren können. Erst recht jemandem, der Tag und Nacht arbeitet.«
    »Was ist denn los mit Pedro Camacho?« unterbrach ich ihn. »Ich verstehe nicht, wovon die Rede ist, Don Luciano.«
    »Die Hörspielserien, junger Mann«, flüsterte Josefina Sânchez, als beginge sie eine Gotteslästerung. »Sie werden immer seltsamer.«
    »Wir Schauspieler lösen uns mit den Technikern am Telephon von Radio Central ab, als Stoßdämpfer gegen die Beschwerden der Hörer«, fiel Batân ein, seine Stachelschweinhaare glänzten, als hätte er Brillantine hineingeschmiert. Er trug wie immer einen Overall, seine Schuhe hatten keine Schnürsenkel, und er schien dem Weinen nahe zu sein. »Damit die Genaros ihn nicht rausschmeißen, Herr.«
    »Sie wissen doch auch, daß er kein Geld hat und von der Hand in den Mund lebt«, ergänzte Luciano Pando. »Was würde aus ihm, wenn sie ihn rausschmissen? Er würde verhungern.« »Und aus uns?« sagte Josefina Sânchez stolz. »Was würde aus uns, ohne ihn?«
    Jetzt fingen sie an, sich gegenseitig ins Wort zu fallen und mir alles in allen Einzelheiten zu erzählen. Die Unstimmigkeiten (»die kleinen Fehler«, sagte Luciano Pando) hatten vor etwa zwei Monaten begonnen, aber anfangs waren sie so unbedeutend gewesen, daß wahrscheinlich nur die Schauspieler sie bemerkten. Sie hatten Pedro Camacho kein Wort darüber gesagt, denn sie kannten seinen Charakter, niemand wagte es, außerdem hatten sie sich eine Zeitlang gefragt, ob es sich nicht um genau überlegte Kunstgriffe handele. Aber während der drei letzten Wochen hatten sich die Dinge außerordentlich verschlimmert.
    »Alles ist ein großer Mischmasch geworden, junger Mann«, sagte Josefina Sânchez untröstlich. »Eine Geschichte vermischt sich mit der anderen, und wir selbst sind nicht in der Lage, sie zu entwirren.«
    »Hipôlito Lituma war immer ein Wachtmeister, der Schrecken der Verbrecherwelt in Callao im Hörspiel um 10 Uhr«, sagte Luciano Pando mit entstellter Stimme. »Aber seit drei Tagen ist das der Name des Richters in dem Hörspiel um 4 Uhr. Und der Richter hieß Pedro Barreda. Zum Beispiel.« »Und jetzt spricht Pedro Barreda von der Jagd auf Ratten, weil sie sein Töchterchen gefressen haben«, Josefina Sânchez' Augen füllten sich mit Tränen. »Und dabei haben sie die von Don Federico Téllez Unzâtegui gefressen.«
    »Stellen Sie sich vor, was wir bei den Aufnahmen durchmachen«, stammelte Batân. »Wir sagen und tun Dinge, die vollkommen blödsinnig sind.« »Und es gibt keine Möglichkeit, die Verwechslungen wieder gutzumachen«, flüsterte Josefina Sânchez. »Sie haben ja gesehen, wie Herr Camacho die Programme kontrolliert. Er läßt nicht einmal zu, daß man auch nur ein Tüpfelchen ändert, oder er bekommt entsetzliche Wutanfälle.«
    »Er ist erschöpft, das ist alles«, sagte Luciano Pando und wiegte schwermütig den Kopf. »Kein Mensch kann vierundzwanzig Stunden am Tag arbeiten, ohne daß ihm die Gedanken durcheinandergehen. Er braucht Ferien, um wieder so zu werden, wie er war.«
    »Sie können doch gut mit den Genaros«, sagte Josefina Sânchez. »Wollen Sie nicht mit ihnen reden? Ihnen nur sagen, daß er erschöpft ist, daß sie ihm ein paar Wochen geben sollen, damit er sich wieder erholt.«
    »Am schwierigsten wird es sein, ihn selbst davon zu überzeugen, daß er Ferien machen muß«, sagte Luciano Pando. »Aber so kann es nicht weitergehen. Sonst entlassen sie ihn.« »Die Leute rufen ständig im Rundfunk an«, sagte Batân. »Wir müssen wahre Wunder vollbringen, um sie abzulenken. Und neulich stand sogar schon etwas in ›La Crönica‹.« Ich erzählte ihnen nicht, daß Genaro sen. schon Bescheid wußte und mir schon empfohlen hatte, mit Pedro Camacho zu verhandeln. Wir verblieben so, daß ich bei Genaro jun. vorfühlen sollte, und je nachdem, wie er reagierte, würden sie entscheiden, ob es ratsam sei, daß sie selbst im Namen aller Kollegen erschienen, um die Verteidigung des Schreibers zu übernehmen. Ich dankte ihnen für das Vertrauen und versuchte, ihnen etwas Mut zu machen; Genaro jun. sei sehr viel moderner und verständnisvoller als Genaro sen. und lasse ganz sicher mit sich reden, ihm diesen Urlaub zu gewähren. Wir sprachen noch miteinander, während ich das Licht ausmachte und den Dachverschlag abschloß. In der Belén gaben wir uns die Hand. Ich sah ihnen nach, wie sie sich, häßlich

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