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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Liebste«), als er dem Puppenspieler Monleön zusah, wie er die Nachbarn mit seinen Stoffpuppen amüsierte. Ganz sicher war es auch auf diesen kreolischen Spaziergängen durch das alte Lima, als Crisanto den alten Frauchen mit den schwarzen Umhängen begegnete, die in dem Vais »Kleines Betschwesterchen, auch du warst einst eine Frau« vorkommen, und wo er den Prügeleien der Jungen zusah, von denen die kleine Polka »Die Straßenjungen« spricht.
    So gegen 6 Uhr trennten sich die Freunde; der Priester kehrte zu seiner Kirche zurück, um für die Seele des in Callao ermordeten Kannibalen zu beten, und der Barde ging in die Garage des Schneiders Chumpitaz. Dort übte er mit einer Gruppe von Freunden – dem Kastentrommler Sifuentes, dem Waschbrettspieler Tiburcio, der Sängerin Lucia Acémila (?), den Guitarristen Felipe und Juan Portocarrero – neue Lieder und Arrangements, und sobald es dunkel wurde, holte jemand die brüderliche Flasche Pisco hervor. So, zwischen Musik und Unterhaltung, Üben und Trinken vergingen die Stunden. Wenn es Nacht war, ging die Gruppe in irgendein Restaurant der Stadt zum Abendessen, wo der Künstler stets Ehrengast war. An anderen Tagen traten sie bei Festen auf – Geburtstagen, Verlobungen, Hochzeiten –, oder sie waren in irgendeinem Club verpflichtet. Im Morgengrauen kehrten sie zurück, und die Freunde verabschiedeten den lahmen Barden an der Tür seiner Wohnung. Aber wenn sie fortgegangen waren und schon in ihren armseligen Wohnungen schliefen, erschien der Schatten einer verwachsenen Figur mit schwerfälligem Gang in der Gasse. Er ging durch die feuchte Nacht, schleppte, wie ein Gespenst im Nieselregen und Nebel des Morgens, eine Guitarre hinter sich her und setzte sich auf den verlassenen kleinen Platz von Santa Ana, auf die Bank aus Stein, die gegenüber dem Kloster der Barfüßigen Schwestern stand. Dann lauschten die Katzen im Morgengrauen den gefühlvollsten Arpeggien, die jemals einer irdischen Guitarre entlockt wurden, den glühendsten Liebesliedern, die ein menschliches Wesen ersonnen hat. Einige frühaufstehende Betschwestern, die ihn gelegentlich überraschten, wie er leise und weinend vor dem Kloster sang, verbreiteten das haarsträubende Gerücht, er habe sich, trunken von Eitelkeit, in die Jungfrau Maria verliebt, der er im Morgengrauen Serenaden singe.
    Es vergingen Wochen, Monate, Jahre. Der Ruhm von Crisanto Maravillas – Schicksal des Ballons, der durch die Sonne wächst und steigt – verbreitete sich wie seine Musik. Niemand jedoch, nicht einmal sein enger Freund, der Priester Gumercindo Li-tuma, ehemaliger Guardia Civil, der brutal von seiner Gattin und von seinen Kindern (weil er Ratten züchtete?) niedergeschlagen worden war und der während seiner Genesung den Ruf des HErrn vernommen hatte, ahnte die Geschichte seiner unendlich großen Leidenschaft für die eingeschlossene Schwester Fâtima, die in all diesen Jahren auf dem Pfad der Heiligkeit gewandelt war. Das keusche Paar konnte von dem Tag an, an dem die Oberin (Schwester Lucïa Acémila?) entdeckt hatte, daß der Barde ein mit Männlichkeit versehenes Wesen war (trotz des Zwischenfalls an jenem unglücklichen Morgen im Büro des Untersuchungsrichters?), kein Wort mehr miteinander wechseln. Aber im Lauf der Jahre hatten sie das Glück, sich zu sehen, wenn auch unter Schwierigkeiten und nur von weitem. Schwester Fâtima mußte, sobald sie Nonne geworden war, wie ihre Gefährtinnen im Kloster Wache halten, bei der sie rund um die Uhr, immer zu zweit sich ablösend, in der Kapelle für die Barfüßigen Schwestern beteten. Vom Publikum waren die betenden Nonnen durch ein Holzgitter getrennt, das, obwohl es sehr fein geschnitzt war, den Menschen von beiden Seiten erlaubte, sich zu sehen. Das erklärte zu einem Teil die hartnäckige Religiosität des Barden von Lima, die ihn oft zum Gespött der Nachbarschaft machte, welchem Maravillas mit dem frommen Tondero antwortete: »Ja, ein Glaubender bin ich …« Crisanto verbrachte jeden Tag viel Zeit in der Kirche der Barfüßigen Schwestern. Mehrmals ging er hinein, um sich zu bekreuzigen und einen Blick durch das Gitter zu werfen. Wenn er – ein Sprung im Herzen, rasender Puls, Schauer über den Rücken – durch das quadratische Holzwerk auf einem der immerwährend von Figuren im weißen Habit besetzten Betschemeln Schwester Fâtima erkannte, fiel er sofort auf den Fliesen aus der Kolonialzeit auf die Knie. Er nahm eine schräge Stellung ein (sein Aussehen,

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