Tante Julia und der Kunstschreiber
rein Körperlichen basiere. Sobald das Neue vorbei sei, werde mit der Routine die sexuelle Anziehungskraft immer geringer und sterbe schließlich (besonders beim Mann), und das Paar könne dann nur überleben, wenn es zwischen den Partnern andere Anziehungskräfte gebe, geistige, intellektuelle, moralische. Für diese Art Liebe spiele das Alter keine Rolle. »Das klingt hübsch, und es würde mir gefallen, wenn es stimmte«, sagte Tante Julia und rieb ihre Nase, die immer ein bißchen kalt war, an meiner Wange. »Aber es ist von hinten bis vorn gelogen. Das Körperliche soll zweitrangig sein? Es ist das Allerwichtigste, damit zwei Personen sich ertragen, Varguitas.«
War sie wieder mit dem Endokrinologen ausgegangen? »Er hat mich mehrmals angerufen«, sagte sie, meine Erwartung steigernd. Dann küßte sie mich und wischte alles beiseite: »Ich hab ihm gesagt, daß ich nicht mehr mit ihm ausgehen werde.«
Auf dem Gipfel der Glückseligkeit sprach ich lange mit ihr über meine Erzählung von den Schwebenden. Sie habe zehn Seiten, werde sehr gut, und ich würde versuchen, sie in der Beilage von »El Comercio« mit einer kryptischen Widmung zu veröffentlichen: »Dem Femininum von Julius.«
X
Die Tragödie von Lucho Abril Marroquîn, einem jungen Arzneimittelvertreter, dem alles eine vielversprechende Zukunft voraussagte, begann mit einem sonnigen Sommer morgen in der Umgebung einer historischen Stätte, vor Pisco. Er hatte seine Rundfahrt beendet, die ihn, seitdem er vor zehn Jahren diesen reisenden Beruf ergriffen hatte, in alle Dörfer und Städte Perus führte, wo er Ärztepraxen und Apotheken besuchte, um Muster und Broschüren der Bayer-Werke zu verschenken, und er wollte gerade nach Lima zurückkehren. Die Besuche bei den Ärzten und Apothekern des Ortes hatten etwa drei Stunden gedauert. Und obwohl er bei der Luftwaffen gruppe Nummer 9 von San Andres einen alten Schulkame raden hatte, der jetzt Hauptmann war und bei dem er zum Mittagessen zu bleiben pflegte, wenn er in Pisco war, beschloß er, gleich in die Hauptstadt zurückzufahren. Er war mit einem weißhäutigen Mädchen mit französischem Nachnamen verheiratet, und sein junges Blut und sein verliebtes Herz drängten ihn, so bald wie möglich in die Arme seiner Frau zurückzukehren.
Es war kurz nach iz Uhr mittags. Sein nagelneuer Volks wagen, den er zur gleichen Zeit auf Raten gekauft hatte, als er die Ehe einging – vor drei Monaten –, erwar tete ihn unter einem dichtbelaubten Eukalyptus auf der Plaza. Lucho Abril Marroquîn verstaute den Koffer mit Mustern und Broschüren, nahm sich die Krawatte ab und zog sich das Jackett aus (das die Vertreter, den helvetischen Normen des Arzneimittelwerks entsprechend, stets tragen sollten, um einen seriösen Eindruck zu machen), beschloß noch einmal, seinen Freund von der Luftwaffe nicht zu besuchen und statt eines regelrechten Mittagessens nur eine Erfrischung zu sich zu nehmen, um zu vermeiden, daß eine schwere Verdauung ihn während der drei Stunden Fahrt durch die Wüste noch schläfriger machte.
Er ging über die Plaza zum Eisrestaurant »Piave«, bestellte bei dem Italiener eine Coca-Cola und ein Pfirsicheis, und während er dieses spartanische Mahl zu sich nahm, dachte er nicht an die Vergangenheit dieses südlichen Hafens, nicht an die farbenprächtige Ausschif fung des zweifelhaften Helden San Martin und seines Befreiungsheeres, sondern – Egoismus und Sinnlichkeit heißblütiger Männer – an sein warmes Frauchen, eigentlich war sie noch fast ein Mädchen, schneeweiß, blauäugig und mit blonden Locken, und daran, wie sie ihn in der romantischen Dunkelheit der Nächte zu Extremen neronischen Fiebers treiben konnte, wenn sie ihm mit den Seufzern eines sehnsüchtigen Kätzchens in jener außerordentlich erotischen Sprache (einem Französisch, das desto mehr erregte, je unverständlicher es war) ein Lied mit dem Titel »Die toten Blätter« ins Ohr sang. Als er aber merkte, daß diese ehelichen Reminiszenzen ihn zu erregen begannen, dachte er an etwas anderes, zahlte und ging. Bei der nächsten Tankstelle füllte er den Tank mit Benzin, die Batterie mit Wasser und fuhr ab. Obgleich zu dieser Stunde, in der die Sonne am höchsten stand, die Straßen von Pisco verlassen waren, steuerte er langsam und vorsichtig und dachte dabei nicht etwa an das Wohlergehen der Fußgänger, sondern an seinen gelben Volkswagen, der gleich nach der kleinen blonden Französin sein Augapfel war. Er dachte an
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