Tante Lisbeth (German Edition)
Grunde das Geld der Familie.«
»Mutter, in welche Mißlichkeit hat uns der Vater gestürzt!« rief Hortense.
Die Baronin machte ihr ein Zeichen zu schweigen, und Hortense schämte sich ihres Vorwurfes.
»Lebt wohl, Kinder!« sagte Frau von Hulot. »Das gute Wetter ist ja wieder da. Aber nun betrübt euch auch nicht wieder!«
Nachdem sie die Baronin hinausgeleitet hatten, sagte Hortense zu ihrem Manne:
»Erzähle mir von gestern abend!«
Während er erzählte, beobachtete sie lauernd sein Gesicht und unterbrach ihn mit jenen Fragen, die eben in diesem Falle über die Lippen einer Frau kommen. Sie wurde nachdenklieh gestimmt. Sie ahnte das sündhafte Vergnügen, das Künstlernaturen in diesem lasterhaften Milieu empfinden müssen.
»Sei aufrichtig, Stanislaus! Stidmann war mit da, Vignon Bixiou, Lora... aber wer noch? Am Ende hast du dich gar amüsiert?«
»Ich? Ich habe an nichts gedacht als an unsere zehntausend Francs. Immer wieder habe ich mir gesagt: Hortense wird ihrer Sorgen ledig!«
Dieses Verhör verstimmte den Polen außerordentlich. Er benutzte einen fröhlichen Moment und sagte: »Sag einmal, mein Engel, was hättest du getan, wenn dein Meister schuldig befunden worden wäre?«
»Was ich getan hätte?« entgegnete sie festen Tones. »Ich hätte mich Stidmann hingegeben, wenn auch ohne Liebe. Merke dir das!«
»Hortense!« rief Steinbock laut aus und fuhr in theatralischer Brüskerie auf. »Dazu würdest du keine Zeit gehabt haben! Ich hätte dich gemordet!«
Sie warf sich auf ihren Mann und küßte ihn, daß er kaum mehr Luft bekam.
»So liebst du mich doch, Stanislaus? Nun habe ich vor nichts Angst. Aber weg mit der Marneffe! In dergleichen Schmutz gehst du mir nicht wieder!«
»Ich schwöre dir, geliebte Hortense, daß ich nur hingehen will, wenn ich meinen Schuldschein einlöse!«
Sie begann zu schmollen, wie das verliebte Frauen tun, um die Zärtlichkeiten der Wiederversöhnung zu ernten. Aber Stanislaus lagen die Erlebnisse dieses Morgens in den Gliedern. Er ließ seine Frau schmollen und ging nach seinem Atelier, um den ersten Entwurf der Gruppe »Simson und Delila« zu machen. Die nach seinem Modell gezeichnete Skizze dazu hatte er in der Tasche.
Hortense, die sich in ihrer Verliebtheit einbildete, Stanislaus grolle ihr, lief ihm in sein Atelier nach. Sie trat in dem Augen- blick ein, wo ihr Mann in jener Schöpferhast, die den Künstler im Banne der Phantasie treibt, gerade den rohen Tonentwurf fertig hatte. Als er seine Frau erblickte, warf er rasch ein feuch- tes Tuch über die Gruppe, umfaßte Hortense mit beiden Armen und sagte zu ihr:
»Nicht wahr, mein liebes Kätzchen, wir sind einander nicht mehr böse?«
Hortense hatte gesehen, daß Steinbock schnell etwas zudeckte, aber sie sagte nichts. Als sie jedoch das Atelier wieder verlassen wollte, wandte sie sich noch einmal um, zog das Tuch weg und betrachtete die Gruppe.
»Was ist das?« fragte sie.
»Eine Gruppe, die mir eben in den Sinn gekommen ist.«
»Warum hast du sie vor mir versteckt?«
»Weil du sie nur vollendet sehen solltest.«
»Eine hübsche Frau!« meinte Hortense.
Tausend argwöhnische Gedanken umwucherten ihre Seele wie Jene riesigen dicken indischen Schlingpflanzen, die von heute zu morgen aufschießen.
Nach etwa drei Wochen war Frau Marneffe voll tiefen Grolls gegen Hortense. Frauen ihres Schlages verlangen in ihrer Eigenliebe, man solle dem Teufel den Schwanz küssen. Niemals verzeihen sie der Tugend, wenn sie keine Angst vor ihnen hat und nicht mit ihnen kämpft. Nun hatte Steinbock keinen einzigen Besuch in der Rue Vanneau gemacht, nicht einmal aus Höflichkeit für das Modellstehen zur Delila. Sooft Tante Lisbeth zu Steinbocks gegangen war, hatte sie niemanden angetroffen. Das junge Paar lebte im Atelier. Lisbeth, die die beiden Turteltauben bis in ihr Nest in Gros-Caillou verfolgte, stellte fest, daß Stanislaus eifrig bei der Arbeit war, und erfuhr durch die Köchin, daß die Gräfin nicht von ihrem Manne wich.
Die Frauen klammern sich an ihre Liebhaber, sobald man sie ihnen streitig macht. Valeries Kaprice wandelte sich in Raserei. Auch wollte sie die Gruppe haben. Schon war sie entschlossen, den Künstler in seinem Atelier aufzusuchen, als ein wichtiges Ereignis eintrat.
Eines Morgens frühstückten Valerie, ihr Mann und Tante Lisbeth.
»Marneffe«, sagte Valerie, »weißt du schon, daß du Vater werden wirst?«
»Weiß der Teufel! Du kriegst einen dicken Bauch! Laß dich küssen!«
Er
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