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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Diner gewesen sein wollen. Du mein Gott! Diese Valerie hat mich verrückt gemacht! Und dann ... ich bin in schrecklicher Verlegenheit. Gib mir einen Rat! Was soll ich nur sagen? Wie mich entschuldigen?«
    »Ich dir einen Rat geben? Ich weiß wirklich keinen!« entgegnete Stidmann. »Du wirst doch von deiner Frau geliebt, nicht? Dann wird sie dir alles glauben. Sag ihr zunächst, du seist jetzt bei mir gewesen, während ich bei dir war. Lebe wohl!«
    An der Ecke der Rue Hillerin-Bertin kam Lisbeth, die von Regina verständigt worden war und ihn suchte, auf ihn los. Sie fürchtete seine Naivität. Ihr kam es darauf an, nicht bloßgestellt zu werden. Sie sagte Steinbock ein paar Worte. In seiner Freude umarmte er sie auf offener Straße. Offenbar hatte sie ihm ein Brett über die Kluft in seiner Ehe gelegt.
    Beim Anblick ihrer hastig herbeigeeilten Mutter brach Hortense in Tränen aus. Sie wurde gleichzeitig ruhiger.
    »Beste Mutter, ich bin verraten!« klagte sie ihr. »Stanislaus hatte mir sein Ehrenwort gegeben, nicht zu Frau Marneffe zu gehen. Und doch ist er gestern zum Diner bei ihr gewesen und ist erst früh gegen eins zurückgekehrt. Tags zuvor hatten wir nicht etwa einen Streit, aber eine Auseinandersetzung. Mit innigen Worten hielt ich ihm vor, daß ich eifersüchtig sei, Untreue würde mich töten, ich sei argwöhnisch, er müsse diese Schwächen an mir achten, da sie der Liebe zu ihm entsprängen; ich hätte in meinen Adern ebensoviel Temperament von meinem Vater wie von dir, in der ersten Erkenntnis eines Verrats wäre ich der tollsten Tat fähig, um mich zu rächen, und wenn ich uns alle zugrunde richtete, ihn, sein Söhnchen und mich, ich würde ihn töten und dann mich selber... . Und doch ist er hingegangen, und wieder ist er dort! Dieses Weib will uns allen Leid bereiten. Gestern haben sich Viktor und Cölestine verpflichtet, einen Wechsel von zweiundsiebzigtausend Francs zu übernehmen, der zum Vorteil Valeries ausgestellt worden ist. Ja, Mutter, sonst wäre man gerichtlich gegen Vater vorgegangen und hätte ihn ins Schuldgefängnis gesteckt. Hat dieses schreckliche Weib nicht genug an ihm und an deinen Tränen? Wozu nimmt sie mir Stanislaus? Aber ich werde zu ihr gehen und sie erdolchen!«
    Frau von Hulot ward durch die Indiskretion, die Hortense in ihrem Zorn unwillkürlich beging, bis ins Herz getroffen; aber sie bezwang ihren Schmerz mit der Kraft einer Heroine. Sie drückte den Kopf ihrer Tochter an sich und küßte sie.
    »Warte nur auf Stanislaus, mein Kind! Es wird sich alles aufklären. Das Unglück kann nicht so groß sein, wie du denkst. Ich bin auch eine Verratene, liebe Hortense. Du hältst mich für schön; ich bin nie vom Wege der Tugend gewichen, und man hat mich seit dreiundzwanzig Jahren einer Jenny Cadine, einer Josepha, einer Marneffe wegen hintergangen! Wußtest du das?« »Du, Mutter, du? Du duldest das seit... .«
    Sie stockte. Ihre Gedanken übermannten die Baronin.
    »Tu und denke wie ich, meine Tochter!« erwiderte sie. »Sei sanft und gut, und du wirst mit deinem Gewissen in Frieden leben. Auf seinem Sterbelager sagt sich ein Mann: ›Meine Frau hat mir nie das Geringste zuleide getan!‹ Und Gott, der die letzten Seufzer erhört, rechnet sie uns zugute! Wenn ich mich der Wut überlassen hätte wie du – wohin hätte das geführt? Dein Vater wäre erbittert geworden, vielleicht hätte er mich ganz verlassen. So hat ihn die Angst, mich zu betrüben, gehalten. Unser Ruin, der heute vollendet ist, wäre schon zehn Jahre früher eingetreten. Weder dein Bruder noch du hätten sich ihr Heim gründen können... . Ohne dieses letzte Verhältnis deines Vaters würde mich die Welt heute noch für glücklich halten. Meine mutige Lüge hat Hektor beschützt und ihm sein Ansehen bewahrt. Erst seine greisenhaften Torheiten durchbrechen die Schutzwand, die ich zwischen uns und der Gesellschaft errichtet habe. Dreiundzwanzig Jahre lang habe ich hinter dieser Mauer geweint, ohne eine Mutter noch eine Vertraute noch sonst welchen Trost gehabt zu haben als die Religion. Dreiundzwanzig Jahre lang habe ich der Ehre der Familie gedient.«
    Hortense hörte ihrer Mutter mit starren Augen zu. Der ruhige Ausdruck, die Resignation dieses erhabenen Schmerzes stillten den Zorn der zum ersten Male verwundeten jungen Frau. Sie begann von neuem haltlos zu weinen. Im Überschwang ihrer kindlichen Liebe, hingerissen von der Herzensgröße ihrer Mutter, sank sie vor ihr auf die Knie, ergriff und küßte den

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