Tante Lisbeth (German Edition)
Staatsrat zur Verzweiflung brachte. Das Weitere ließ sie sich eines nach dem andern ausfragen. Nachdem der Glaube, Hand in Hand mit der Eitelkeit, in dem alten Lebemann die Oberhand gewonnen hatte, begann Valerie, von der angeblichen Wut ihres Mannes zu sprechen.
»Mein alter Brummbär, du wirst schwerlich darumkommen, deinen verantwortlichen Redakteur, unsern Geschäftsführer, wenn du willst, zum Kanzleidirektor und Ritter der Ehrenlegion befördern zu lassen. Du hast ihm die Hörner aufgesetzt. In meinen ersten Jungen, der wirklich von ihm stammt, ist er total vernarrt; ich kann das kleine Scheusal nicht ersehen. Zum mindesten müßt du dem eine kleine Rente von zwölfhundert Francs aussetzen, zur Nutznießung natürlich bloß, eingetragen wird sie auf meinen Namen.«
»Na, wenn schon eine Rente, dann auf den Namen meines Jungen und nicht auf den des kleinen Scheusals!« protestierte der Baron.
Diese unvorsichtige Äußerung, die in dem Worte »mein Junge« gipfelte, war nach einstündiger Hin- und Herrede in ein förmliches Versprechen gewandelt, dem künftigen Kinde die genannte Rente auszusetzen.
In dem Augenblick, wo der Baron, glücklich wie ein junger Ehemann, der auf einen Erbprinzen harrt, aus der Rue Vanneau kam, wurde Frau Olivier von Hortense der Brief entrissen, der »eigenhändig an den Herrn Grafen Steinbock abzugeben« war. Die junge Frau bezahlte diese Auslieferung mit einem Zwanzigfrancsstück. Selbstmörder bezahlen ja auch ihren Revolver, ihren Strick.
Hortense las den Brief und las ihn zum zweiten Male. Sie sah nichts als das weiße Papier und soundso viel schwarze Querstriche darauf. In der ganzen Welt gab es nichts als dieses Stück Papier; alles andere um sie herum war schwarz. Die Flamme des Feuers, in dem ihr Lebensglück aufging, erleuchtete das Papier in der stockdunklen Nacht ringsum. Die Ausrufe ihres spielenden kleinen Söhnchens hallten an ihr Ohr, als kämen sie aus einem tiefen Tale, und sie stände oben auf einer Höhe. Bei ihren vierundzwanzig Jahren, im vollen Schmuck der Schönheit, im Heiligenschein einer demütigen und reinen Liebe, war diese Beschimpfung nicht bloß eine schwere, sondern eine tödliche Wunde. Jener erste Anfall war rein nervöser Art gewesen; ihr Leib hatte sich unter der Folter der Eifersucht gewunden. Aber die Gewißheit griff ihr die Seele an. Ihr Körper war ohne Leben.
Etwa zehn Minuten lang währte der Druck dieses Zustandes. Das Bild ihrer Mutter erschien ihr im Geiste und rief eine Umwandlung in ihr hervor. Sie wurde kalt und ruhig und gewann ihre Überlegung wieder. Sie läutete. Die Köchin erschien.
»Packen Sie mit Luise so rasch wie möglich alle meine Sachen ein und alles Nötige für den Kleinen! Ihr habt eine Stunde Zeit. Wenn alles fertig ist, holen Sie eine Droschke und benachrichtigen Sie mich. Keine Fragen! Ich verlasse das Haus und nehme Luise mit. Sie bleiben hier, bei dem gnädigen Herrn! Versorgen Sie ihn recht gut!«
Sie ging in ihr Zimmer, setzte sich an ihren Schreibtisch und schrieb folgenden Brief:
»Graf!
Der diesem beigelegte Brief wird Sie über den Anlaß des Entschlusses aufklären, den ich gefaßt habe. Wenn Sie diese Zeilen lesen, habe ich Ihr Haus verlassen und bin mit unserm Kinde zu meiner Mutter zurückgekehrt.
Rechnen Sie nicht darauf; daß ich diese Maßnahme je ändere! Vermuten Sie nicht etwa jugendliche Unüberlegtheit, Übereilung und das Ungestüm beleidigter Liebe! Sie dürften sich stark täuschen. Seit Wochen habe ich viel über das Leben, die Liebe, unsere Ehe und unsere gegenseitigen Pflichten nachgegrübelt. Ich verstehe die demütige Anhänglichkeit meiner Mutter vollkommen. Sie hat mir ihr Leid anvertraut. Sie ist seit dreiundzwanzig Jahren Tag für Tag eine Heldin. Aber ich fühle nicht die Kraft, es ihr gleichzutun, nicht daß ich Sie weniger geliebt hätte, als sie meinen Vater liebt, sondern aus individuellen Gründen. Unsere Häuslichkeit würde zu einer Hölle werden, und ich könnte mich verleiten lassen, Ihnen, mir und unserm Sohne Schande zu machen. Ich würde keine zweite Frau Marneffe werden, und wenn schon, würde ich bei meiner Natur nicht dabei bleiben. Ich bin eine Hulot!
Allein und fern dem Schauspiel Ihrer Entgleisungen bürge ich für mich, zumal meinem Kinde gewidmet und an der Seite meiner herrlichen Mutter, deren ernstes Leben die Regungen meines stürmischen Herzens besänftigen wird. Dort kann ich als gute Mutter und sorgliche Erzieherin unseres Sohnes leben. Bei Ihnen
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