Tante Lisbeth (German Edition)
stand auf und ging um den Tisch herum. Valerie hielt ihm ihr Gesicht so hin, daß der Kuß das Haar traf.
»Dann ist der Direktor und der Ritter der Ehrenlegion ja gesichert!« meinte er vergnügt. »Übrigens, unser Ältester darf durch diesen Prinzen Kuckuck nicht geschädigt werden, der arme Kerl!«
»Armer Kerl?« warf Lisbeth ein. »Ihr habt ihn seit sieben Monaten kein einziges Mal besucht. In der Familie, der ihr ihn in Pension gegeben habt, gelte ich für seine Mutter, weil sich außer mir kein Mensch um das arme Wurm kümmert.«
»Erlaube!« sagte Valerie. »Wir bezahlen alle Vierteljahre hundert Taler! Übrigens, lieber Mann, es ist dein Kind; also müßtest du seinen Unterhalt eigentlich von deinem Gehalt bestreiten. Das neue soll uns keine Unkosten bereiten, im Gegenteil, es soll uns aus allem Elend ziehen ...«
»Valerie«, sagte Marneffe, indem er Crevels Attitüde nachäffte, »ich hoffe, der Herr Baron von Hulot wird für seinen Sohn sorgen und ihn nicht einem armen Beamten aufhalsen. Ich werde ihm das schon ordentlich beibringen. Du mußt dir gewisse Sicherheiten verschaffen. Sieh zu, daß du Briefe von ihm bekommst, in denen er von seinem Vaterglück spricht. Er ist nämlich in der Beförderungsangelegenheit verflucht zach!«
Damit spazierte Marneffe nach dem Ministerium. Die wertvolle Freundschaft mit seinem Vorgesetzten erlaubte ihm, erst um elf in seiner Kanzlei zu erscheinen. Übrigens gab man ihm überhaupt nicht viel zu tun, notorisch unfähig und arbeitsscheu, wie er war.
Als sie allein waren, sahen sich Valerie und Lisbeth einen Augenblick wie Auguren an und brachen dann in ein Riesengelächter aus.
»Ist es auch wirklich wahr, Valerie?« fragte Lisbeth. »Oder ist es nur ein fauler Witz?«
»Leibhafte Wahrheit!« entgegnete Valerie. »Hortense ärgert mich. Ich bin heute nacht auf den Einfall geraten, ihr das Baby wie eine Bombe ins Haus zu schmeißen ...«
Sie ging in ihr Zimmer hinüber. Lisbeth folgte ihr und bekam dort einen fertigen Brief gezeigt:
»Mein lieber Stanislaus!
Ich glaube immer noch an Deine Liebe, obgleich ich Dich bald drei Wochen lang nicht gesehen habe. Hast Du mich satt? Delila kann das nicht annehmen. Gewiß ist das die Folge der Tyrannei einer Frau, von der Du mir gesagt hast, Du könntest sie nicht mehr lieben. Geliebter Freund, Du bist ein viel zu großer Künstler, als daß Du so unfrei sein darfst! Die Ehe ist das Grab des Ruhmes. Sieh, daß Du wieder der Stanislaus wirst, der Du einst in der Rue du Doyenne warst. Das Denkmal meines Vaters ist Dir mißlungen. Die Liebe der Tochter soll Dich wieder zum Künstler machen. Mit ihr wirst Du mehr Glück haben.
Schatz, Du bist Vater! Wenn Du mich in meinem jetzigen Zustande nicht besuchst, werden Dich Deine Freunde für einen ganz schlechten Menschen halten. Aber ich fühle es: ich habe Dich so wahnsinnig lieb, daß ich niemals imstande wäre, schlecht von Dir zu reden. Darf ich mich ewig nennen.
Deine Valerie?«
»Was meinst du dazu?« fragte Valerie. »Ich habe die Absicht, ihm diesen Brief zu einer Zeit ins Atelier zu schicken, wo nur unsere teure Hortense anwesend sein wird. Ich habe gestern abend durch Stidmann erfahren, daß er mit Stanislaus heute um elf Uhr eine Besprechung bei Chanor hat. Da ist also dieses alberne Frauenzimmer allein.«
Lisbeth hatte Bedenken.
»Nach solch einem Streiche kann ich aber nicht mehr vor aller Augen deine Freundin bleiben. Ich werde dir den Laufpaß geben. Es muß so aussehen, als sähen und sprächen wir uns nicht mehr.«
»Wenn es sein muß ...«, meinte Valerie, »aber...«
»Sei unbesorgt!« unterbrach Lisbeth sie. »Sobald ich die Frau Marschall bin, sind wir wieder die alten. Sie betreiben jetzt die Sache alle miteinander. Nur der Baron weiß nichts von dem Plan. Du wirst ihn indessen schon dazu bereden.«
»Ja«, entgegnete Valerie, »aber unter Umständen stehe ich sehr bald auf gespanntem Fuße mit dem Baron.«
»Frau Olivier wäre die einzige«, bemerkte Lisbeth, »die sich von Hortense mit dem Brief überraschen lassen könnte. Man müßte sie erst nach der Rue Saint-Dominique schicken, dann ins Atelier.«
Zehn Minuten nach der Absendung des verhängnisvollen Briefes kam Hulot. Frau Marneffe flog ihm mit Katzengeschwindigkeit um den Hals.
»Hektor, du bist Vater! Das kommt von Zwist und Wiederversöhnung!«
Sie merkte dem Greise ein gewisses Erstaunen an, das er nicht rasch genug unterdrückt hatte. Sofort zog sie eine kalte Miene, die den
Weitere Kostenlose Bücher