Tante Lisbeth (German Edition)
Saum ihres Kleides, wie verzückte Katholiken den heiligen Rock irgendeines Märtyrers küssen.
»Steh auf, mein Kind!« rief die Baronin. »Diese Anerkennung meiner Tochter tilgt mir manche häßliche Erinnerung. Komm an mein Herz, das von nichts als von deinem Kummer bedrängt wird! Die Verzweiflung meiner armen geliebten Tochter, deren Freude meine einzige Freude im Leben war, hat das Grabessiegel erbrochen, das sonst nichts von meinen Lippen hätte wegbringen können. Ach, ich wollte mein Herzeleid mit in mein Grab nehmen... . Um deinen Zorn zu beschwichtigen, habe ich gesprochen. Gott wird mir verzeihen!... Der Mann, der Zufall, die Schöpfung, die Natur schenken uns die Liebe um den Preis der grausamsten Qualen. Wie teuer habe ich die zehn Jahre meines Glücks bezahlen müssen!«
»Zehn Jahre! Liebe Mutter, bei mir waren es nur drei!« klagte die verliebte Egoistin.
»Noch ist nichts verloren, Hortense. Warte auf Stanislaus!«
»Mutter, er hat mich belogen! Er hat mich getäuscht! Er hat zu mir gesagt: ›Ich werde nicht hingehen!‹ Und er ist doch gegangen. Und er hat es an der Wiege seines Kindes gesagt.«
»Für ihre Vergnügen begehen die Männer die größten Feigheiten, Schändlichkeiten und Verbrechen, Das liegt offenbar in der Mannesnatur. Wir Frauen dagegen sind geboren zum Opfer. Ich glaubte am Ende meines Unglücks zu sein. Da beginnt es erst recht, denn dein Leid ist für mich doppeltes Leid. Schweigen und Mut! Liebste Hortense, schwöre mir, daß du mit niemandem außer mit mir über deinen Kummer sprichst! Daß du dir Dritten gegenüber nichts anmerken lassen willst! Sei stolz wie deine Mutter!«
In dem Augenblick vernahm Hortense die Tritte ihres Mannes. Sie erzitterte.
Stanislaus trat ein.
»Ich glaube, Stidmann ist gerade hiergewesen, als ich bei ihm war.«
»Ach, wirklich?« rief Hortense mit der wilden Ironie der beleidigten Frau, die sich der Rede wie eines Dolches bedient.
»Aber ja! Wir sind uns eben begegnet.«
Stanislaus tat ganz verwundert.
»Und gestern?« fragte Hortense.
»Allerdings ... Ich habe es dir nicht sagen wollen ...«
Dieses Geständnis erleichterte ihr das Herz. Manche edle Frauen setzen die Gewißheit über die Lüge. Sie wollen ihr Idol nicht herabgezerrt sehen. Lieber sind sie noch stolz darauf, gedemütigte Sklavinnen zu sein.
»Hören Sie mich an, verehrte Schwiegermutter!« sagte Stanislaus. »Ich liebe meine gute süße Hortense so sehr, daß ich ihr die Größe unserer Not verheimlicht habe. Kein Mensch in der Welt leiht einem Künstler Geld. Man traut unserer Gelderwerbsfähigkeit genauso wenig wie unserer Phantasie. Ich habe vergeblich an alle Türen gepocht. Lisbeth war die einzige, die uns etwas anbot, ihre Ersparnisse ...«
»Das arme Mädchen!« riefen Hortense und die Baronin gleichzeitig aus.
»Aber zweitausend Francs, was hätte das genützt? Hortense glaubt, wir hätten fünftausend Francs Schulden, es sind aber zehntausend. Hortense wollte ihre Brillanten versetzen. Wir hätten ein paar tausend Francs dafür bekommen, aber wir brauchen zehntausend. Da sagte nun Tante Lisbeth, Frau Marneffe wolle uns aus Eigenliebe, weil sie dem Baron viel verdankt, diese Summe ohne Zinsen auf ein Jahr geben. Ich sagte mir: Hortense soll nichts davon erfahren, nehmen wir das Geld!... Gestern hat mich jene Frau nun durch meinen Schwiegervater zum Diner eingeladen. Sie ist bereit, mir auszuhelfen. Ich habe vor der Wahl zwischen Hortenses Verzweiflung und dieser Dinereinladung nicht geschwankt. Das ist alles! Wie kann sich Hortense, die jung, frisch, rein und mir treu, die mein ganzes Glück und meine Sonne ist, die ich seit unserer Verheiratung nicht verlassen habe, auf einmal einbilden, daß ich ihr Frau Marneffe vorzöge? Eine verlebte Dirne!«
Steinbock wußte, daß derlei verächtliche Übertreibungen einer eifersüchtigen Frau immer gefallen.
Hortense fiel dem geliebten Manne um den Hals.
»Ja, ich hätte auch nicht anders gehandelt!« bestätigte die Baronin. »Stanislaus, lieber Freund, Hortense wäre beinahe gestorben«, fügte sie ernst hinzu. »So groß ist ihre Liebe!«
Sie seufzte tief.
»Ich leide wohl genug, um meine Kinder glücklich sehen zu dürfen!«
»Seien Sie unbekümmert«, bat der überglückliche Künstler. »Die Krisis ist überwunden. In zwei Monaten soll jene gefährliche Frau ihr Geld wiederhaben. Wissen Sie«, fuhr er mit Grandezza fort, »es gibt Augenblicke, wo man selbst den Teufel anpumpen würde! Das Geld ist ja im
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