Tante Lisbeth (German Edition)
aber würde die Frau stärker sein als die Mutter, und unaufhörliche Streitereien würden meinen Charakter verbittern.
Ich will den tödlichen Schlag mit einem Male hinnehmen, nicht viele Jahre hinsiechen wie meine Mutter. Wenn Sie mich bereits nach dreijähriger Liebe zu verraten imstande waren und noch dazu an die Geliebte Ihres Schwiegervaters, mit was für Rivalinnen hätte ich es weiterhin noch zu tun? Sie betreten viel früher als mein Vater den Weg der Liederlichkeit und der Verschwendung. Es entehrt einen Familienvater, vermindert die Achtung der Kinder und führt schließlich zu Schande und Verzweiflung.
Ich bin durchaus nicht unversöhnlich. Unbeugsame Gefühle kommen schwachen Geschöpfen ja gar nicht zu. Wir stehen in Gottes Hand. Wenn Sie sich Ruhm und Vermögen erringen, wenn Sie die Dirnen lassen und unedle, schmutzige Wege meiden, dann sollen Sie eine Ihrer würdige Frau wiederfinden.
Ich rechne auf den Edelmann in Ihnen, daß Sie die Gerichte beiseite lassen! Achten Sie meinen Willen, lassen Sie mich bei meiner Mutter, und vor allem: lassen Sie sich nie bei uns sehen!
Das Geld jenes abscheulichen Weibes liegt unangerührt in Ihrer Wohnung.
Leben Sie, wohl!
Hortense Hulot.«
Nachdem dieser Brief mit großer Mühe geschrieben war, überließ sich Hortense ihren Tränen. Sie hatte die Feder mehrfach hingelegt und wieder aufgenommen. Ihr Herz weinte, aber ihr Verstand schrieb.
Als Luise ihr meldete, daß alles fertig sei, durchschritt sie noch einmal langsam den Salon, ihr Zimmer und das Gärtchen und sah sich alles zum letzten Male an. Dann legte sie der Köchin nochmals das leibliche Wohl des Hausherrn ans Herz. Endlich stieg sie weinend und ihr Kind küssend in die Droschke, um zu ihrer Mutter zu fahren.
Die Baronin wußte bereits durch Lisbeth, daß ihr Mann an dem Fehltritt ihres Schwiegersohnes beträchtlich schuld war. So war sie nicht überrascht, als sie ihre Tochter ankommen sah. Sie billigte ihren Entschluß und versprach ihr, sie bei sich zu behalten. Sie hatte eingesehen, daß Sanftmut und Anhänglichkeit ihren Mann von nichts zurückgehalten hatten, und ihre Achtung für ihn begann dahinzuschwinden. Sie fand, daß ihre Tochter recht handelte, wenn sie einen andern Weg einschlug. In kaum drei Wochen hatte die Baronin zwei neue Wunden empfangen, deren Schmerzen alles bisher überstandene Leid übertrafen. Hulot hatte Viktor und Cölestine in eine mißliche Lage gebracht; ferner war er nach Lisbeths Aussage der Anstifter von Steinbocks Untreue. Er hatte ihn in jene schlechte Gesellschaft geschleppt. Sein Ansehen als Familienoberhaupt, so lange durch unsinnige Opfer aufrechterhalten, war zusammengestürzt. Ohne das finanzielle Opfer zu bedauern, empfanden die jungen Hulots dennoch zugleich Mißtrauen und Besorgnis um den Baron. Diese sichtliche Verstimmung bekümmerte Adeline tief. Sie sah den Zerfall der Familie voraus.
Hortense wurde im Eßzimmer untergebracht, das dank der Hilfe des Marschalls schnell in ein Schlafzimmer umgewandelt wurde. Das Vorzimmer diente nun, wie in vielen Pariser Häusern, zugleich als Speiseraum.
Als Steinbock nach Hause zurückkam, las er die beiden Briefe. Er empfand halb Freude, halb Traurigkeit. Gegen die Gefangenschaft, in der er durch seine Frau gehalten worden war, wie einst durch Lisbeth, hatte er innerlich längst rebelliert. Seit drei Jahren vor Liebe halb erstickt, hatte auch er in den letzten Wochen über das Leben nachgedacht und hatte gefunden, daß das Familienleben eine Fessel sei. Stidmann hatte ihn soeben zu der Leidenschaft beglückwünscht, die er in Valerie erregte, wobei jener den begreiflichen Hintergedanken hegte, es sei am Platze, der Eitelkeit von Hortenses Gatten zu schmeicheln. Er hoffte, der Tröster der Hintergangenen werden zu dürfen. Stanislaus war also glücklich, zu Frau Marneffe zurückkehren zu können. Trotzdem gedachte er des vollen und reinen Glückes, das er genossen hatte, der Reize Hortenses, ihrer klugen Art und ihrer naiven unschuldigen Liebe. Sie tat ihm aufrichtig leid. Er war nahe daran, zu seiner Schwiegermutter zu eilen; aber es ging ihm wie Hulot und Crevel: er landete bei Frau Marneffe. Er brachte ihr den Brief seiner Frau, um ihr zu zeigen, welches Unheil sie damit angestiftet hatte, und ihr sozusagen dieses Unheil zu diskontieren, indem er als Gegenleistung von seiner Geliebten Sinnesfreuden begehrte. Er traf Crevel bei ihr an. Der Bürgermeister, der vor Hochmut beinahe platzte, lief im Salon auf
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