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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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weckte seine Frau und schüttete ihr sein Herz aus, indem er ihr die Geschichte der drei letzten Jahre beichtete. Dabei schluchzte er wie ein Kind, dem man sein Spielzeug genommen hat. Die Beichte eines alten Mannes mit jungem Herzen, die tragische Kette von Erlebnissen verursachte Adeline bei allem echten Schmerze die lebhafteste innerliche Freude. Sie dankte dem Himmel für diesen letzten Schlag; denn nun sah sie ihren Mann für immer dem Kreise seiner Familie zurückgegeben.
    »Lisbeth hat also recht gehabt!« sagte sie ohne jeglichen unnützen Vorwurf zu ihm. »Sie hat uns das alles vorausgesagt.«
    »Ja! Hätte ich nur damals auf sie gehört, anstatt mich aufzuregen, als ich die arme Hortense zwingen wollte, in ihr Haus zurückzukehren, damit diese Dirne nicht bloßgestellt werde! Meine liebe Adeline, wir müssen Stanislaus retten! Er steckt im Sumpfe bis an den Hals!«
    »Armer Freund, diese kleine Bürgersfrau hat dir nicht weniger übel mitgespielt als vorher die Komödiantinnen«, meinte Adeline lächelnd.
    Die Baronin war über die Wandlung ihres Hektor entsetzt, als sie ihn so unglücklich, leidend und gebeugt unter der Last seiner Sorgen sah. Sie war ganz Herz, ganz Mitleid, ganz Liebe. Sie hätte ihr Leben dahingegeben, um Hulot wieder glücklich zu machen.
    »Bleibe bei uns, geliebter Hektor! Sage mir, wie es die Frauen anfangen, dich so festzuhalten! Ich will alles versuchen ... Warum hast du mich nicht nach deinem Frauenideal gebildet? Bin ich zu geistlos? Andere finden mich noch immer leidlich hübsch genug, um mir den Hof zu machen.«
    Viele verheiratete Frauen, die ihren Männern und ihren Pflichten zugetan sind, werden sich hier fragen, warum gute und hochbegabte Männer erbärmlichen Weibern wie der Marneffe nachlaufen und nicht ihre eigenen Frauen, zumal wenn sie der Baronin Hulot ähneln, zum Mittelpunkt ihres Seelen- und Sinnenlebens machen. Die Erklärung greift tief in die Geheimnisse der menschlichen Natur. Die Liebe, diese ungeheuerliche Abirrung von der Vernunft, diese hohe hehre Lust der großen Herzen und anderseits dieses oberflächliche feile Vergnügen der Alltagsgeister läuft in zwei grundverschiedene Extreme ein und derselben Erscheinung aus. Der begehrliche Mann – und der ganze Mann ist immer ein Sinnenmensch – begnügt sich nicht mit einer einzigen von den tausend Variationen zwischen den beiden Extremen der Liebe. Die Frau aber, die so verschiedene Gelüste starker Männlichkeit zu befriedigen fähig ist, die ist ebenso selten wie unter den Männern der große Stratege, der große Künstler, der große Schriftsteller oder der große Erfinder. Und nicht nur der höhere Mann, auch der Schwächling wie Hulot, auch die Krämerseele wie Crevel empfindet gleicherweise den Drang nach einem (individuellen) Ideal wie nach dem gemeinen Genüsse. Und so sind sie alle auf der Suche nach dem seltenen weiblichen Doppelwesen. Diese Sucht liegt den Männern seit Urzeiten im Blute. Trotzdem hat die herkömmliche Ehe ihre Berechtigung, wenngleich sie fast durchweg nichts ist als ein egoistisches Geschäft. Sie ist ein Bündnis, vom Leben bedingt, das auf gemeinsamen Zielen, gemeinsamen Mühen, Arbeiten und Kämpfen und auf zu gleichen Teilen zu bringenden schweren Opfern beruht. Die berufsmäßigen Jäger nach Liebe, die Entdecker und Schatzgräber im Reiche der Leidenschaft müssen so den konventionellen Sittenlehrern für Verbrecher gelten, für viel zu mild bestrafte Einbrecher.
     
    Der Baron begab sich rasch zum Marschall Fürsten von Weißenburg, dessen hohe Gönnerschaft seine letzte Zuflucht war. Da er von diesem alten Soldaten seit fünfunddreißig Jahren protegiert wurde, hatte er jederzeit freien Zutritt zu ihm.
    »Guten Tag, lieber Hektor«, sagte der gütige große Feldherr. »Was hast du? Du siehst sorgenvoll aus. Die Sitzungsperiode ist doch zu Ende. Wieder eine, die wir überstanden haben! Ich spreche von derlei jetzt wie früher von unsern Feldzügen. Bei Gott, ich glaube, sogar die Zeitungen nennen die Sitzungen parlamentarische Feldzüge.«
    »Wir haben in der Tat Unglück gehabt, Marschall, aber das ist das Elend dieser Zeit!« sagte Hulot. »Das ist nun einmal so. Jedes Zeitalter hat seine Schattenseiten. Das größte Unglück der heutigen Regierungen besteht darin, daß weder Majestäten noch Ministerien in ihren Handlungen so frei sind, wie es der Kaiser war.«
    Der Marschall warf auf Hulot einen der Adlerblicke voll Stolz, Klarheit und Scharfsinn, die ein Beweis

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