Tante Lisbeth (German Edition)
Vauvinets Namen abgeschlossen, dem der Baron einen Wechsel in der Höhe von zwölftausend Francs ausstellte. Am nächsten Tage wurde alles vernichtet: das verhängnisvolle Protokoll, die Klage des Ehemannes und die Briefe. Die skandalöse Beförderung und Auszeichnung eines gewissen Herrn Marneffe, die im Trubel der Julifeierlichkeiten kaum bemerkt wurden, gaben nicht zu einem einzigen Zeitungsartikel Anlaß.
Lisbeth, die scheinbar mit Frau Marneffe uneinig war, richtete sich beim Marschall von Hulot ein. Zehn Tage später wurde die alte Jungfer erstmalig mit dem berühmten alten Manne aufgeboten. Adeline hatte ihn so weit gebracht, indem sie ihm Hektors finanzielle Not erzählte; gleichzeitig hatte sie ihn gebeten, niemals mit dem Baron davon zu sprechen, der, wie sie sagte, gemütskrank und schwermütig geworden sei.
So triumphierte Lisbeth. Nunmehr stand sie dem Ziele ihres Ehrgeizes und der Befriedigung ihres Hasses nahe. Im Vorgefühl ihres Glückes, über die Familie zu herrschen, die sie so lange gehaßt hatte, nahm sie sich vor, die hohe Gönnerin zu spielen, den rettenden Engel, der die zugrunde gerichtete Familie noch so leidlich leben ließ. Bei sich selbst nannte sie sich bereits »Frau Gräfin« und »Frau Marschall« und begrüßte sich so vor dem Spiegel. Adeline und Hortense sollten ihr Leben im Elend beschließen, im Kampfe mit der Not, während sie, die Tante Lisbeth, Zutritt zu den Tuilerien hatte und in der Gesellschaft glänzte. Da stieß ein schreckliches Ereignis das alte Mädchen von der gesellschaftlichen Höhe herab, zu der sie sich so stolz emporgehoben wähnte.
Gerade an dem Tage, als das erste Aufgebot erfolgte, erhielt der Baron neue Nachricht aus Afrika. Ein zweiter Elsässer erschien, übergab dem Baron einen Brief, nachdem er sich versichert, daß er Hulot persönlich vor sich hatte, und ließ nach Angabe seiner Wohnung den hohen Beamten niedergeschmettert zurück. Der Brief lautete:
»Lieber Neffe!
Nach meiner Berechnung erhältst Du diesen Brief am 7. August. Ich setze voraus, daß Du drei Tage brauchst, um uns die Hilfe zu schicken, die wir erbitten, und daß sie vierzehn Tage braucht, um hierherzukommen. Damit nähern wir uns dem 1. September. Wenn der Erfolg der Berechnung entspricht, hast Du Ehre und Leben Deines Dir treu ergebenen Hans Fischer gerettet.
Wie es mir scheint, muß ich demnächst vor dem Schwurgericht oder einem Kriegsgericht erscheinen. Du wirst begreifen, daß sich Hans Fischer niemals vor ein Gericht schleppen lassen wird; er wird lediglich vor Gottes Richterstuhl treten.
Der Beamte, den Du mir in der Sache beigegeben hast, ist zweifellos ein schlimmer Gesell, durchaus imstande, Dich bloßzustellen. Gerissen ist er wie ein Gauner. Er verlangt, daß Du Dich für uns mehr einsetzt, die andern sozusagen überschreist und uns einen Kommissar herschickst, einen Bevollmächtigten mit dem Auftrage, hier Mißstände aufzudecken, Schuldige nachzuweisen und so weiter, kurzum, energisch einzugreifen. Diese Zwischenperson zwischen uns und den Gerichten müssen wir haben. Wenn Dein Bevollmächtigter am 1. September, mit geeigneten Instruktionen versehen, hier eintrifft und wenn Du uns zweihunderttausend Francs schickst, damit wir im Hauptdepot die Vorräte wiederherstellen, die wir an entfernten Orten zu haben behaupten, dann werden wir als ehrliche und makellose Leute bestehen.
Du kannst dem Soldaten, der Dir den Brief überbringt, einen Scheck anvertrauen, zahlbar bei einem Bankhaus in Algier. Er ist ein zuverlässiger Mensch, ein entfernter Verwandter von mir, nicht im geringsten neugierig. Ich habe Vorkehrungen getroffen, daß der junge Mann unbehelligt zurückkommt. Wenn Du nicht helfen kannst, sterbe ich gern für den, dem wir das Glück unserer Adeline verdanken.«
Die Ängste und Freuden der Leidenschaft, die Katastrophe, die seiner galanten Laufbahn ein Ende bereitet hatte, waren schuld daran gewesen, daß der Baron den armen Hans Fischer ganz vergessen hatte. Sein erster Brief hatte die Gefahr im voraus gemeldet; inzwischen war sie also im höchsten Grade dringlich geworden.
Hulot verließ das Eßzimmer in solcher Verstörtheit, daß er im Salon auf das Sofa sank. Er war völlig niedergeschmettert, einer Art Lähmung verfallen, wie sie ein heftiger Sturz verursacht. Unverwandt starrte er auf eine Blume im Teppich, ohne an den unheilvollen Brief, den er in der Hand hielt, zu denken. Adeline hörte von ihrem Zimmer aus, wie ihr Mann sich gleich einer
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