Tante Lisbeth (German Edition)
waren, daß seine große Seele trotz der Jahre noch frei und stark war.
»Du willst etwas von mir?« sagte er und nahm eine heitere Miene an.
»Ich sehe mich in der Zwangslage, Sie – wie um eine persönliche Gnade – um die Beförderung eines meiner Beamten zum Kanzleidirektor zu bitten und um seine Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion.«
»Wie heißt er«, fragte der Marschall und warf dem Baron einen blitzartigen Blick zu.
»Marneffe.«
»Er hat eine hübsche Frau. Ich habe sie bei der Hochzeit deiner Tochter gesehen. Mein lieber Hektor, es handelt sich also um eine galante Geschichte! Du leistest dir derlei immer noch? Ich muß gestehen, du machst der Kaiserlichen Garde Ehre. Das kommt davon, wenn man nicht der aktiven Armee, sondern der Verwaltung angehört hat. Du hast dabei deine Kräfte geschont. Aber von der Sache steh ab, mein Junge! Sie ist zu leichtsinnig, um sie amtlich anzuerkennen ...«
»Marschall, so einfach ist diese schlimme Geschichte nicht. Mir droht ein Ehebruchsprozeß. Wollen Sie mich vor dem Strafrichter sehen?«
»Zum Teufel!« rief der Marschall und wurde besorgt. »Erzähle mir das Nähere!«
»Sie sehen mich in der Lage eines in die Falle gegangenen Fuchses. Sie waren immer so gütig zu mir, daß Sie mich wohlwollend aus der schmachvollen Lage retten werden, in der ich mich befinde.«
Hulot erzählte sein Mißgeschick möglichst geistreich und heiter.
»Verehrter Fürst«, schloß er, »wollen Sie meinen Bruder, den Sie so lieben, aus Kummer sterben sehen, und einen Ihrer nächsten Untergebenen, einen Staatsrat, kompromittiert im Stiche lassen? Der Marneffe ist ein Schelm, den wir bei der ersten besten Gelegenheit in den nächsten paar Jahren pensionieren können.«
»Wie du von ein paar Jahren sprichst, lieber Freund!« meinte der Marschall.
»Fürst, des Kaisers Garde stirbt nicht!«
»Ich bin jetzt der letzte Marschall von denen, die bei der ersten Beförderung ernannt worden sind. Hektor, du weißt gar nicht, wie sehr ich an dir hänge, aber du sollst es erfahren! Erst an dem Tage, an dem ich das Ministerium verlasse, sollst auch du es verlassen. Du bist nicht Abgeordneter. So mancher trachtet nach deiner Stelle, und ohne mich hättest du sie schon nicht mehr. Ich habe für dich manche Lanze brechen müssen, um dich zu halten. Ich will dir deine beiden Bitten gewähren, denn es wäre gar zu hart, dich in deinem Alter und in der Stellung, die du einnimmst, auf der Anklagebank zu sehen. Aber du beeinträchtigst dein Ansehen außerordentlich! Wenn Marneffes Beförderung und Auszeichnung zu einem Skandal Veranlassung geben sollte, wird man uns übel zusetzen. Ich mache mir nichts draus, aber für dich ist das wiederum eine fatale Geschichte. Bei der nächsten Kammersitzung geht man dir an den Kragen. Dein Amt wird einem halben Dutzend einflußreicher Persönlichkeiten als Lockspeise vorgehalten, und du wirst höchstens durch mein gewichtiges Eintreten gerettet.«
»Das Protokoll muß vernichtet werden!« erklärte er.
Der Marschall klingelte.
»Sie handeln wie ein Vater, Fürst!«
»Wo ist Roger?« fragte der Marschall, als sein Kanzleidiener Mitouflet erschien. »Ich lasse ihn bitten. Ich danke, Mitouflet! – Und du, alter Kamerad, laß die Ernennung vorbereiten; ich unterschreibe sie. Aber der ehrlose Intrigant soll nicht lange die Frucht seines Bubenstreiches genießen. Ich werde ihm scharf auf die Finger sehen lassen, und beim geringsten Versehen fliegt er zum Tempel hinaus! Jetzt, wo du gerettet bist, lieber Hektor, nimm dich in acht. Gib deinen Freunden keine Ärgernisse. Du wirst die Beförderung noch heute vormittag zugeschickt bekommen, und dein Mann wird Ritter... Wie alt bist du eigentlich?«
»In einem Vierteljahr dreiundsiebzig.«
»Du bist ein Hauptkerl!« sagte der Marschall lachend. »Du verdientest eine Beförderung; aber leider Gottes leben wir nicht unter Ludwig dem Fünfzehnten!«
»Noch solch ein Sieg«, sagte Hulot zu sich, als er über den Hof ging, »und ich bin verloren!«
Der unglückliche Beamte ging zum Bankier von Nucingen, dem er nur noch eine unbedeutende Summe schuldete. Es gelang ihm, vierzigtausend Francs von ihm zu leihen, indem er sein Gehalt wiederum für zwei Jahre verpfändete; aber der Bankier bedang sich aus, daß im Falle von Hulots Pensionierung der pfändbare Teil der Pension zur Rückzahlung des Darlehns gepfändet werde, bis Kapital und Zinsen gedeckt seien. Das neue Geschäft wurde – wie das frühere – unter
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