Tante Lisbeth (German Edition)
Straucheln bringen!«
»Bitte, erzähle mir doch, wie sie das fertigbringt!«
»Theorien gibt es da keine, nur Praxis!«
Die Baronin erinnerte sich des Gespräches. Sie selber verstand nicht einmal etwas von den erotischen Raffinements der Kleidung, wenngleich sie die größte Sorgfalt dabei übte. Sie verstand nicht zu reizen. Auch die Wirkung gewisser Stellungen, Bewegungen, Blicke kannte sie nicht. Sie hatte keine Tricks. Der Wille schafft keine Dirnen. Vor der Welt die unnahbare anständige Frau zu sein und nur vor ihrem Manne oder Geliebten die große Kurtisane, das versteht nur das geniale Weib. Die Art ist rar. Hierin beruht aber das ganze Geheimnis der dauernden Neigungen, die den Frauen unerklärlich sind, denen diese großartige Doppelnatur abgeht. Die berühmten Frauen großen Stils sind gezählt.
Die Eingangsszene dieser ernsten düstern Pariser Sittenstudie sollte sich also wiederholen, nur mit dem eigenartigen Unterschiede, daß das von dem Bürgergardisten prophezeite Elend die Rollen etwas anders ausgab. Frau von Hulot erwartete Crevel in der Absicht, die ihn vor drei Jahren so selbstzufrieden zu ihr geführt hatte. Sie war sich und ihrer Liebe noch treu und doch bereit, die gröbste Untreue zu begehen, eine Untreue, die in gewissen Richteraugen nicht die Rechtfertigung einer hinreißenden Leidenschaft hat.
Wie muß ich es machen, um eine zweite Frau Marneffe zu sein? fragte sie sich, als sie es läuten hörte.
Sie unterdrückte ihre Tränen. Die Erregung belebte ihre Züge. Sie nahm sich fest vor, eine Kurtisane zu sein.
Zum Teufel, was will die Baronin von mir? fragte sich Crevel, als er die Treppe hinaufstieg. Wahrscheinlich ist es wegen meiner Uneinigkeit mit Cölestine und Viktor. Aber nachgegeben wird da nicht!
Als er, geführt von Luise, in den Salon trat, beschaute er sich die Armseligkeit des »Lokals«. Das war ein Lieblingsausdruck von ihm!
»Arme Frau!« murmelte er.
Adeline erschien und lächelte ihm verbindlich zu, indem sie ihm einen Stuhl anbot.
»Gehorsamst zur Stelle, schöne Frau!« meldete er sich.
Seitdem Crevel Politiker war, ging er stets in schwarzem Rock. Sein Gesicht leuchtete über dieser Tracht wie der Vollmond über einer dunklen Wolkenwand. Sein mit drei dicken Perlen, von denen jede fünfhundert Francs gekostet hatte, besterntes Hemd kennzeichnete den ganzen Mann: Hier ist der künftige Riesenvolksredner zu sehen! Seine derben Bürgerhände staken vom frühen Morgen an in gelben Glacéhandschuhen. Seine tadellosen Lackschuhe verrieten, daß er in seinem kleinen einspännigen braunen Coupé hergekommen war. Während der letzten drei Jahre hatte er – wie es bei den großen Malern heißt – seinen Frühstil überwunden. In großer Gesellschaft, wenn er beim Fürsten von Weißenburg, im Stadthause, beim Grafen Popinot und so weiter war, behielt er den Hut ungezwungen in der Hand – Valeries Erziehung – und steckte den Daumen der andern Hand etwas schauspielerisch in den Ärmelausschnitt seiner Weste, wobei er mit Kopf und Augen kokettierte. Diese neue »Attitüde« hatte Valerie in ihrer Spottlust dem Herrn Bürgermeister einstudiert, mit der Behauptung, sie mache ihn jünger, in Wahrheit, um seine Lächerlichkeit zu erhöhen.
»Mein lieber guter Crevel«, begann die Baronin unsicher, »ich habe Sie in einer höchst wichtigen Angelegenheit um Ihren Besuch gebeten ...«
»Ich weiß schon«, meinte Crevel verschmitzt. »Aber Sie verlangen Unmögliches! Ich bin gewiß kein Rabenvater und – wie Napoleon zu sagen pflegte – kein Quadratgeizkragen. Hören Sie mich also an, schöne Frau! Wenn sich meine Kinder um ihrer selbst willen ruinieren, dann komme ich ihnen zu Hilfe. Aber für Ihren Herrn Gemahl Bürgschaften zu übernehmen, gnädige Frau ... das hieße das Faß der Danaiden füllen wollen! Wie kann man sein Haus für einen unverbesserlichen Vater mit dreihunderttausend Francs belasten! Keinen roten Heller besitzen sie mehr, die Unglücksmenschen! Und dabei haben sie sich mit dem Gelde nicht einmal selber amüsiert! Nun werden sie eben von dem leben müssen, was Viktor als Anwalt verdient. Mag er also quasseln, Ihr Herr Sohn! Minister sollte er werden, das Doktorchen? Das Musterkind der Familie? Er kommt ja nicht vorwärts. Wenn er Schulden machte, um hochzukommen, um Parteigenossen und Wähler zu traktieren, um bekannt zu werden, dann würde ich sagen: »Junge, hier ist mein Portemonnaie, nimm dir raus, was du brauchst!« Aber Papas dumme Streiche zu
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