Tante Lisbeth (German Edition)
»Valerie, mein Liebstes«, fuhr er fort, »du versprichst mir bei deiner Ehre ... bei unserer Ehre, – verstehst du! – nicht ein Sterbenswort weiterzusagen von dem, was ich dir anvertrauen werde!«
Sie machte eine schwörende Geste, wobei sie sich so raffiniert hinstellte, daß dem dicken Crevel – wie man zu sagen pflegt ganz schwummerig wurde. Ihr nackter Körper schimmerte wundervoll und verführerisch durch das leichte Gewebe des Gewandes hindurch.
Crevel begann zu reden:
»Ich habe soeben die Tugend in Verzweiflung gesehen ...«
»Die Tugend in Verzweiflung?« wiederholte Valerie kopfschüttelnd und verschränkte die Arme.
»Es handelt sich um die arme Frau von Hulot. Sie muß zweihunderttausend Francs haben. Andernfalls erschießen sich der Marschall und der alte Fischer. Und da du, meine liebe kleine Prinzessin, ein wenig die Ursache von der dummen Geschichte bist, will ich sie wieder einrenken. Die Baronin ist eine fromme Frau. Ich kenne sie. Sie wird mir alles zurückgeben.«
Bei dem Namen »Hulot« und den zweihunderttausend Francs leuchtete es tief in Valeries Augen wie das Aufblitzen eines Geschützes im Pulverrauch. »Was hat sie denn gemacht, die alte Dame, daß sie dein Mitleid so erregt hat?« fragte sie. »Sie hat dir wohl – ihre fromme Seele gezeigt, wie?«
»Spotte nicht über sie, mein Lieb! Sie ist wirklich eine fromme, edle, heilige Frau. Alle Achtung vor ihr!«
»Bin ich etwa nicht aller Achtung wert?«
Valerie blickte ihn mit unheilschwangeren Augen an.
»Das habe ich nicht gesagt!« versetzte Crevel. Er begriff, wie sehr sein Lob der Tugend sie verletzen mußte.
»Ich bin auch fromm«, sagte Valerie, indem sie sieb in einen Lehnstuhl setzte, »aber ich mache kein Geschäft aus meiner Religion. Ich gehe still für mich in die Kirche.«
Sie verstummte und tat so, als sei Crevel gar nicht mehr da. Das beunruhigte ihn ganz außerordentlich. Er stellte sich vor ihren Stuhl, in dem sie in Gedanken versunken lag.
»Valerie, mein süßer Engel!«
Sie rührte sich nicht. Eine spärliche Träne rollte ihr über die Backe.
»Sage doch was, Schatz!«
»Herr Crevel!«
»Woran denkst du, Liebchen?«
»Ach, Herr Crevel, ich denke daran zurück, wie ich zum ersten Male zum Abendmahl ging. Wie schön war ich da! Wie unschuldig! Wie fromm und unverdorben! Ach, wenn da jemand zu meiner lieben Mutter gesagt hätte: ,Ihre Tochter wird eine Dirne! Eine Ehebrecherin! Eines Tages wird sie der Polizeikommissar in der Wohnung eines fremden Mannes aufheben. Sie wird sich einem Crevel verkaufen, um einen Hulot zu verraten. Beides gräßliche alte Männer!' Pfui! Pfui! Sie wäre tot umgefallen, ehe sie die Prophezeiung ganz angehört hätte. So sehr hat sie mich geliebt, die arme, arme Frau!«
»Valerie, beruhige dich!«
»Was weißt du davon, wie sehr man einen Mann liebhaben muß, um die Reue zum Schweigen zu zwingen, die das Herz einer Ehebrecherin quält! Schade, daß ich das Mädchen weggeschickt habe. Sie hätte dir bestätigen können, daß sie mich heute früh weinend beim Beten überrascht hat. Siehst du, ich spotte nicht über den Glauben. Hast du mich je ein schlimmes Wort in dieser Beziehung sagen hören?«
Crevel machte eine verneinende Gebärde.
Valerie fuhr fort:
»Ich dulde nicht, daß man in meiner Gegenwart über religiöse Dinge spricht. Ich spotte über alles mögliche, über die Fürsten, die Politik, das Geld, über alles, was andern heilig auf Erden ist, über die Justiz, die Ehe, die Liebe, die jungen Mädchen, die alten Männer... Aber über die Kirche und Gott... niemals! Die sind selbst mir heilig! Ich weiß sehr wohl, daß ich eine Sünderin bin ... ich opfere dir mein Seelenheil... und du, du ahnst nichts von der Größe meiner Liebe!«
Crevel war sprachlos.
Valerie begann zu weinen.
»Beruhige dich, Liebste! Ich bin ganz erschrocken!« stotterte er.
Valerie setzte ihre Komödie fort. Sie sank in die Knie.
»Lieber Gott, ich bin nicht schlecht!« betete sie laut mit gefalteten Händen. »Nimm dein verlorenes Schaf gnädig wieder auf! Straf es, aber entreiß es den Händen, die es zu Ehebruch und Treulosigkeit verführt haben! Es wird sich freudig von dir leiten lassen und glückselig auf dem rechten Wege weiterwandeln!«
Sie stand auf und sah Crevel an. Ihre leuchtenden Augen flößten ihm Furcht ein.
»Weißt du, Geliebter«, sagte sie, »zuweilen habe ich furchtbare Angst. Alle Schuld rächt sich in dieser wie in jener Welt. Gottes Rache trifft den
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