Tante Lisbeth (German Edition)
Sünder in jeglicher Gestalt. Ich muß an den Tod meiner Mutter denken. Mein Gott, wenn ich auch dich verlöre, ich überlebte es nicht!«
Sie packte Crevel und umarmte ihn wild. Dann kniete sie von neuem nieder, faltete die Hände und betete mit unsagbarer Inbrunst: »Heilige Valeria, meine liebe Schutzpatronin, warum erscheinst du nicht öfter am Lager deines Schützlings? Ach, komm heute abend wie du heute morgen gekommen bist! Gib mir gute Gedanken ein, und ich will ablassen vom Wege der Sünde! Wie Magdalena will ich auf die trügerischen Freuden des Lebens verzichten, auf den Glanz der Welt und selbst auf den, den ich so liebe!«
»Liebste!« rief Crevel.
»Es gibt keine Liebste mehr!«
Hochmütig wie eine unnahbare Frau wandte sie sich ab. Tränenden Auges, kalt, würdevoll und gleichgültig stand sie da.
»Lassen Sie mich!« rief sie aus und stieß Crevel zurück. »Was ist meine Pflicht? Zu meinem Manne zu halten. Er ist todkrank, und was tue ich? Ich betrüge ihn am Rande seines Grabes. Er glaubt, Ihr Kind sei das seine. Ich will zu ihm gehen und ihm die Wahrheit gestehen. Ich will erst seine, dann Gottes Verzeihung erflehen. Gehen wir beide voneinander! Leben Sie wohl, Herr Crevel!«
Er fühlte ihre eiskalte Hand in der seinen.
»Leben Sie wohl, mein lieber Freund!« fuhr sie fort. »Wir werden uns erst in einer besseren Welt wiedersehen!«
Crevel war wirklich tief ergriffen. Er weinte wie ein Schloßhund.
»Du Kamel!« rief ihm da plötzlich Valerie zu, indem sie in ein Höllengelächter ausbrach. »Siehst du, so fangen es die frommen Frauen an, wenn sie euch zweihunderttausend Francs abschwindeln wollen. Und du, der du von Marschall Richelieu schwärmst, dem Urbild des Lovelace, du gehst auf den Leim! Du Schwachkopf! Behalte dein Geld, und wenn du zuviel hast, dann gib es mir! Wenn du dem Frauenzimmer, die mit ihren siebenundfünfzig Jahren fromm geworden ist, auch nur einen Groschen gibst, sind wir geschiedene Leute! Dann kannst du sie dir zur Geliebten nehmen. Ich sage dir, du wirst bald wieder bei mir sein: braun und blau von ihren hölzernen Umarmungen und von ihrer Heulerei zu Tode gelangweilt!«
»Es ist nicht zu leugnen«, meinte Crevel, »zweihunderttausend Francs sind ein hübsches Stück Geld!«
»Die frommen Frauen haben einen guten Magen, das muß man sagen! Sie verkaufen ihre Traktätchen besser als wir das Amüsement. Und Phantasie haben sie! Großartig! Übrigens solltest du dich schämen, alter Geizhammel! Mir hast du alles in allem noch keine zweihunderttausend Francs spendiert!«
»Höre mal«, wehrte Crevel ab, »das kleine Palais kostet allein so viel...«
»Dann hast du also das Doppelte übrig?«
»Bewahre!«
»Dann wolltest du wohl die zweihunderttausend Francs für die alte Schaute auf mein Palais aufnehmen? So sorgst du für dein Liebchen?«
»Aber laß mich doch endlich ausreden!«
Sie eiferte weiter:
»Wenn du die Summe für irgendeine menschenfreundliche Torheit aussetzen wolltest, damit du dir einen Namen machtest, dann wäre ich die erste, die das gutheißen würde. Aber zweihunderttausend Francs einer alten Betschwester opfern, die von ihrem Manne Gott weiß warum sitzengelassen worden ist; nein, das wäre eine Dummheit! Zwei Tage hinterher würdest du dich nicht mehr im Spiegel angucken wollen, um dein Schafsgesicht nicht zu sehen. Lege dein Geld in der Rentenkasse an und bring mir die Quittung! Eher kriegst du mich nicht wieder zu sehen. So, nun geh und lauf!«
Sie schob Crevel aus dem Zimmer hinaus. In seinen Mienen lauerte bereits wieder der Geiz. Als die Tür wieder geschlossen war, rief sie laut aus:
»So, jetzt ist Lisbeth mehr als gerächt! Schade, daß sie bei ihrem alten Marschall ist! Hätten wir gelacht! Diese alte Betschwester! Will sie mir das Brot vom Maule wegschnappen. Der wollen wir heimleuchten!«
Aus Rücksicht auf seinen hohen militärischen Rang wohnte der Marschall Hulot in einem prächtigen Palast in der Rue du Mont-Parnasse. Obwohl er das ganze Haus gemietet hatte, benutzte er nur das Erdgeschoß. Als Tante Lisbeth die Wirtschaft übernahm, wollte sie alsobald, daß der erste Stock weitervermietet werde. Dadurch käme die Gesamtmiete ein, meinte sie, und der Graf würde so gut wie umsonst wohnen. Aber darauf ging der alte Soldat nicht ein. Seit etlichen Monaten suchten ihn trübe Gedanken heim. Er war sich über die mißliche Lage seiner Schwägerin klargeworden und ahnte ihr Unglück, ohne hinter die Ursache zu kommen. Der alte
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