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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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die arme Frau aus und sank in die Knie. Sie betete mit einer Innigkeit, die Crevel tief rührte; Tränen traten ihm in die Augen. Als sich die Baronin nach ihrem Gebete wieder erhob, sagte sie zu ihm:
    »Seien Sie mein Freund! Ihr Herz ist besser als Ihr Verhalten und Ihre Rede. Das Herz haben Sie von Gott, Ihre Gedanken und Ihre Worte aber von der Welt und ihren Leidenschaften. Ach, ich will Sie sehr liebhaben!«
    Sie stand da wie ein überirdisches Wesen.
    »Sie zittern!« sagte Crevel besorgt.
    »Zittere ich?« fragte sie, die ihren Zustand bisher nicht beachtet hatte.
    »Merken Sie das nicht?« Crevel erfaßte ihren Arm und zeigte ihr, wie er zitterte. Ehrfürchtig fuhr er fort: »Beruhigen Sie sich nun, bitte, gnädige Frau! Ich gehe auf die Bank.«
    »Kommen Sie schnell zurück!« bat sie und fing an, ihre Geheimnisse auszuplaudern. »Bedenken Sie, daß es sich darum handelt, den Selbstmord meines armen Onkels Fischer zu verhindern. Mein Mann hat seinen ehrlichen Namen gefährdet. Jetzt habe ich Vertrauen zu Ihnen und sage Ihnen alles. Ach, ich kenne den Marschall. Er ist so zartfühlend. Wenn wir zu spät kämen, wäre es auch sein Tod!«
    »Ja, ich gehe«, meinte Crevel und küßte der Baronin die Hand. »Was hat denn Onkel Fischer für den Baron verbrochen?«
    »Den Staat bestohlen!«
    »Mein Gott! – Ich eile, gnädige Frau. Ich – verstehe Sie! Ich bewundere Sie!«
    »Kommen Sie bald zurück!«
    Unglücklicherweise ging Crevel, um zu Hause die Papiere zu holen, durch die Rue Vanneau und vermochte dem Verlangen nicht zu widerstehen, seiner kleinen Prinzessin im Vorübergehen guten Tag zu sagen.
    Noch halb verstört betrat er Valeries Zimmer. Sie ließ sich gerade frisieren. Als sie Crevels Spiegelbild sah, ärgerte sie sich – wie das alle Frauen ihrer Art tun –, daß er offenbar heftig erregt war, ohne daß sie der Anlaß dazu war.
    »Was hast du, Schatz?« forschte sie. »Besucht man so seine kleine Prinzessin! Ich will gar nicht mehr deine Prinzessin sein, du altes Ekel!«
    Crevel lächelte melancholisch und deutete auf das Kammermädchen.
    »Genug für heute, Regina!« sagte Valerie. »Ich werde mir meine Frisur selber fertigmachen. Bringe mir mein japanisches Morgenkleid! Es wird prächtig zu Meister Crevels grotesker Stimmung passen!«
    Regina lächelte ihre Herrin an und brachte das gewünschte Morgenkleid! Valerie warf den Frisiermantel ab und stand im bloßen Hemd da. Dann schlüpfte sie in das zarte Gewand wie eine Schlange ins Gras.
    »Ist die gnädige Frau für jemanden zu sprechen?« fragte die Kammerjungfer.
    »Natürlich nicht!« entgegnete Valerie. – »Sage mal, Dicker, sind irgendwelche Aktien gesunken oder ist unser Palais auf einmal teurer geworden?«
    »Nein!«
    »Oder bezweifelst du die Echtheit deines kleinen Crevel?«
    »Dummes Zeug!«
    Er hatte die Empfindung, daß ihn Valerie wirklich liebe.
    »Himmeldonnerwetter!« lachte sie. »Dann kann ich es wirklich nicht erraten. Weißt du, wenn ich meinem Liebsten seine Sorgen herausziehen soll wie den Kork aus einer Rotsponpulle, dann geb ich es lieber auf. Geh, du ...«
    »Es ist weiter gar nichts«, protzte Crevel. »Ich soll binnen zwei Stunden zweihunderttausend Francs schaffen!«
    »Wird dir das gelingen? Schau, ich habe die fünfzigtausend für das Hulotsche Protokoll noch da. Heinrich würde mir auch fünfzigtausend geben, wenn ich ihn darum bitte.«
    »Heinrich! Heinrich! Immer wieder Heinrich!« brummte Crevel.
    »Meinst du, du großer Machiavelli, ich solle Heinrich den Laufpaß geben? Rüstet England seine Flotte ab? Den Heinrich halte ich mir in der Reserve. Wer weiß? Du scheinst mich bereits heute schon nicht mehr zu lieben.«
    »Ich dich nicht lieben, Valerie! Ich liebe dich, wie man eine Million liebt!«
    »Das genügt mir nicht!« meinte sie. Sie sprang Crevel auf die Knie und umhalste ihn. »Ich will wie hundert Millionen geliebt werden, wie alles Gold der ganzen Welt und mehr noch! Heinrich hielte es keine fünf Minuten aus, ohne mir alles zu gestehen, was er auf dem Herzen hat. Also sag mal, Dickerchen, was fehlt dir? Beichte mal! Sage deinem kleinen Liebchen flink alles!« Sie drückte ihr Haar auf Crevels Gesicht und bewegte ihm die Nase hin und her. »Wie kann man mit dieser Nase so geheimnisvoll sein vor seiner Va-le-rie!« Bei »Va« ging die Nase nach rechts, bei »le« nach links, und bei »rie« kam sie wieder an ihre Stelle.
    »Ich war soeben ...« Crevel unterbrach sich und sah seine Geliebte an.

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