Tante Lisbeth (German Edition)
alles dafür!« rief sie aus. »Herr Crevel, ich verkaufe mich dafür! Wenn es sein muß, will ich eine Frau Marneffe werden!«
»Das dürfte Ihnen schwerfallen!« entgegnete Crevel. »Valerie ist unerreichbar! Fünfundzwanzig Jahre der Tugend überwindet man nicht so leicht. Es geht einem da wie nach einer schweren Krankheit. Etwas bleibt immer hängen. Und Ihre Tugend, mein Kindchen, die hat verteufelt fest gesessen. Aber Sie sollen sehen, wie sehr ich Sie liebe. Ich will Ihnen die zweihunderttausend Francs verschaffen.«
Adeline ergriff Crevels Rechte und drückte sie stumm an ihr Herz. Eine Freudenträne netzte ihr die Lider.
»Passen Sie auf! Die Sache wird Mühe machen. Ich bin ein guter Kerl. »Leben und leben lassen« ist meine Devise. Vorurteile habe ich keine. Und so will ich Ihnen die Geschichte klipp und klar darlegen. Sie wollen es machen wie Valerie! Gut! Das genügt aber nicht. Sie brauchen dazu einen Dummen, einen Kapitalisten, einen Hulot. Ich kenne einen privatisierenden Tuchfabrikanten. Einen dicken dämlichen Plumpsack. Ich habe ihn in meine Erziehung genommen, aber ich weiß nicht, wann ich ihn so weit haben werde, daß er seinem Lehrer Ehre macht. Er ist Abgeordneter. Eitel ist er also auch. Unter der Fuchtel seiner Frau ist er durch und durch Provinzler geblieben. Dem Luxus und dem Wohlleben von Paris steht er wie eine keusche Jungfrau gegenüber. Aber Beauvisage – so heißt er – ist Millionär, mein Kindchen, und ganz wie ich vor drei Jahren würde er frohen Herzens hunderttausend Taler dranspendieren, wenn er eine Frau der Gesellschaft zur Geliebten bekäme ...«
Adeline machte eine Gebärde, die Crevel falsch deutete.
»Er ist nämlich rasend neidisch auf mein Glück bei der Frau Marneffe. Ihm wäre nichts zu teuer, um ...«
»Halten Sie ein, Herr Crevel!« unterbrach ihn die Baronin; sie vermochte ihren Abscheu nicht länger zu verbergen. Die tiefste Scham stand ihr deutlich auf dem Gesicht. »Ich bin jetzt über meine Sünde hinaus bestraft. Ich habe unter dem eisernen Drucke der Not schweigen müssen. Nach der letzten Beleidigung erkläre ich laut: Ein solches Opfer ist unmöglich! Ich bin nicht mehr hochmütig; ich gerate nicht in Zorn wie damals, ich sage Ihnen nicht: »Gehen Sie!« – nachdem ich diesen tödlichen Schlag erhalten habe. Ich habe das Recht dazu verloren. Ich habe mich Ihnen angeboten wie eine Straßendirne ...« Crevel machte eine ableugnende Geste. Die Baronin fuhr fort: »Doch! Ich habe mein bis jetzt reines Leben durch eine unedle Absicht beschmutzt und ... und ohne daß ich eine Entschuldigung habe. Es mußte so kommen! Ich verdiene alle die Schmach, die Sie auf mich gehäuft haben. Möge Gottes Wille geschehen! Wenn er den Tod zweier Menschen geschehen läßt, so will ich sie beweinen und für sie beten. Wenn er die Demütigung unsrer Familie will, so wollen wir uns unter sein Richtschwert beugen und es als gute Christen küssen. Ich weiß jetzt, wie ich die Schande dieser Stunde wieder gutzumachen habe, einer Stunde, die mich bis an mein Lebensende peinigen wird. Es ist nicht mehr die Baronin von Hulot, die zu Ihnen spricht, Herr Crevel. Es ist die arme demütige Sünderin, die Christin, die ein Gefühl in ihrem Herzen hegen wird, die Reue, und die sich nur noch dem Gebet und der Mildtätigkeit weihen will. Ich bin durch meine große Sünde die niedrigste aller Frauen, aber doch die reuigste der Sünderinnen. Sie waren das Werkzeug Gottes zu meiner Umkehr! Ich danke Ihnen!«
Ihre sanfte Frauenstimme war eine ganz andere als die des fiebernden Weibes, das eben noch bereit gewesen war, sich zu entehren, um eine Familie zu retten. Das Blut wich ihr aus den Wangen, und ihre Augen wurden feucht.
»Übrigens habe ich meine Rolle wohl sehr schlecht gespielt?« begann sie wiederum und sah Crevel mit der Sanftmut einer ; Märtyrerin an. »Aber wozu Worte?« Indem sie verstummte, kam sie innerlich einen Schritt weiter. »Sie klingen ironisch; aber das bin ich keineswegs. Verzeihen Sie sie mir! Und wenn sie es waren, dann sind sie gegen mich selber gerichtet!«
Crevel stand betroffen und verwundert vor dieser Erhabenheit.
»Gnädige Frau, ich stehe Ihnen bedingungslos zur Verfügung!« sagte er in einem Anflug von Großmut. »Wir wollen die Angelegenheit prüfen und ... Was verlangen Sie? Unmögliches! Und doch will ich es tun. Ich werde auf der Bank Papiere lombardieren lassen, und in zwei Stunden haben Sie Ihr Geld!«
»Mein Gott, welch ein Wunder!« rief
Weitere Kostenlose Bücher