Tante Lisbeth (German Edition)
bleibt lebenslänglich in Haft. Geben Sie mir Ihren Wechsel. Wir übertragen diesen pro forma auf meinen Buchhalter. Der klagt ihn ein und setzt sich in Besitz eines Haftbefehls gegen Steinbock. Diese Urkunde wird dann auf Ihren Namen umgeschrieben, und so haben Sie immer eine Waffe gegen Ihren Polen in den Händen.«
Das alte Fräulein ließ die Gesetze walten und sagte ihrem Schützling, er solle sich wegen dieses Schrittes keine Sorge machen; sie habe das nur getan, um einen Wucherer, der ihnen eine Summe Geldes vorgestreckt habe, zufriedenzustellen. Dieser Vorwand entstammte wiederum dem erfinderischen Geiste des Handelsrichters. Der rechtsunkundige Künstler, in blindem Vertrauen zu seiner Wohltäterin, steckte sich mit der gerichtlichen Zustellung seine Pfeife an. Er war Raucher wie alle Leute, die ihre Sorgen oder ihre Tatenlust einschläfern wollen.
Eines schönen Tages zeigte Rivet Fräulein Fischer ein Schriftstück und sagte zu ihr: »So, nun haben Sie Ihren Steinbock an der Strippe und können ihn binnen vierundzwanzig Stunden für den Rest seines Lebens in Clichy einquartieren!«
Der hochehrbare Handelsrichter empfand an diesem Tage die Befriedigung einer schlimm-guten Tat. Die Wohltätigkeit hat in Paris so viele Erscheinungsformen, daß dieser merkwürdige Ausdruck wirklich auf eine ihrer Spielarten paßt. Nachdem der Pole im Netze dieses kaufmännischen Verfahrens verstrickt war, handelte es sich um das Eintreiben des Geldes. Der Biedermann hielt Steinbock nämlich für einen Gauner. Mitleid, Ehrlichkeit, Poesie waren in den Augen dieses Geschäftsmannes dummes Zeug.
Im Interesse des armen alten Fräuleins, das, wie er sich ausdrückte, von dem Polen gehörig hineingelegt worden war, suchte nun Rivet die reichen Fabrikbesitzer auf, bei denen der Künstler gearbeitet hatte. Bekanntlich hat Stidmann unter der Beihilfe hervorragender Pariser Goldschmiede die französische Kleinkunst zu der hohen Vollendung gebracht, in der sie jetzt steht und die es ihr erlaubt, mit den Florentinern und den Künstlern der Renaissance zu wetteifern. Stidmann befand sich gerade in Chanors Privatkontor, als Rivet eintrat, um sich nach einem polnischen Flüchtling, einen »gewissen Steinbock«, zu erkundigen.
»Einen gewissen Steinbock? Wen meinen Sie damit?« spottete Stidmann. »Vielleicht den jungen Polen, der bei mir gelernt hat? Wissen Sie, das ist ein großer Künstler! Man sagt von mir, ich sei ein Teufelskerl. Aber dieser arme Junge weiß noch gar nicht, daß Götterkraft in ihm steckt!«
»So!« meinte Rivet befriedigt und sagte dann: »Obwohl Sie nicht besonders höflich zu einem Manne sprechen, der die Ehre hat, Handelsrichter zu sein, so ...«
»Verzeihen Sie gütigst, Herr Handelsrichter!« unterbrach ihn Stidmann, indem er militärisch grüßte.
»... so bin ich doch sehr erfreut über das, was Sie mir da sagen«, fuhr der Richter fort. »Sie meinen also, der junge Mann könnte Geld verdienen?«
»Na und ob«, meinte der alte Chanor, »aber arbeiten muß er. Wäre er bei uns geblieben, so hätte er schon einen ganzen Haufen verdient. Aber, wie Sie wissen, verabscheuen die Künstler das Gebundensein.«
»Sie sind sich ihres Wertes und ihrer Würde bewußt«, meinte Stidmann. »Ich kann es dem jungen Steinbock nicht verdenken, daß er versucht, sich auf eigene Faust einen Namen zu machen und ein berühmter Mann zu werden. Das ist sein gutes Recht! Allerdings habe ich durch seinen Weggang viel Schaden.«
»Da haben wir den Dünkel der jungen Leute!« rief Rivet. »Sie können nichts erwarten! Sie sollten sich erst ein Vermögen erwerben und dann dem Ruhme nachstreben.«
»Man verdirbt sich beim Zusammenscharren der Taler die Hände«, bemerkte Stidmann. »Der Ruhm ist des Künstlers Glück!«
»Ja, ja«, meinte Chanor zu Rivet, »man kann sie nicht anbinden ...«
»Sie würden den Strick zerreißen!« lachte Stidmann.
»Ach was«, sagte Chanor, indem er Stidmann ansah, »alle diese Menschen haben ebenso viele Launen wie Begabung. Entsetzliche Verschwender! Sie halten sich Weiber, werfen das Geld zum Fenster hinaus und haben dann keine Zeit zum Arbeiten. Sie vernachlässigen ihre Aufträge, und wir müssen uns an Handwerker wenden, die zwar nicht soviel können, aber doch dabei reich werden. Dann kommen jene und jammern über die schlechten Zeiten. Wenn sie fleißig wären, besäßen sie Berge von Gold.«
»Alter Schlaumeier!« scherzte Stidmann. »Sie kommen mir vor wie jener Buchhändler vor der
Weitere Kostenlose Bücher