Tante Lisbeth (German Edition)
Revolution, der einmal gesagt hat: ›Ja, ja, wenn ich die Herren Montesquieu, Voltaire und Rousseau, diese alten Faulenzer, in meinen Dachkammern einlogieren und ihre Hosen in meinen Kleiderschrank einschließen könnte, was für nette kleine Bücher würden mir die Kerle schreiben und wie steinreich könnte ich werden!‹ Wenn man Kunstwerke wie Nägel schmieden könnte, dann würden die Dienstmänner welche machen. Geben Sie mir rasch tausend Taler, und seien Sie dann still!«
Der gute Rivet war entzückt. Fräulein Fischer pflegte jeden Montag bei ihm Mittag zu essen. Als er nach Hause kam, war sie bereits da.
»Wenn Sie Ihren Polen dazu bringen, ordentlich zu arbeiten«, berichtete er ihr, »dann haben Sie mehr Glück als Verstand in dieser Angelegenheit; dann wird er Ihnen alles, Zinsen, Unkosten und Kapital zurückzahlen. Der Mann hat Talent und kann sich seinen Lebensunterhalt schon verdienen. Aber schließen Sie seine Pantalons und seine Schuhe ein und lassen Sie ihn ja nicht den Frauenzimmern in die Hände fallen! Halten Sie ihn kurz! Ohne diese Vorsichtsmaßregeln wird Ihr Künstler bummeln gehen – und wenn Sie wüßten, was so ein Künstler unter Bummeln versteht! Schauderhaft, höchst schauderhaft! Man hat mir soeben erzählt: einen Tausendtalerschein verhaut so ein Individuum an einem Tag!«
Dieser Zwischenfall übte auf das häusliche Leben Steinbocks und Lisbeths schreckliche Wirkung aus. Die Wohltäterin tauchte das tägliche Brot des armen Verbannten in den bitteren Wermut ihrer Vorhaltungen. Aus der guten Mutter wurde eine böse Stiefmutter, die das arme Kind schulmeisterte, quälte und ihm vorwarf, nicht rasch genug zu arbeiten und sich überhaupt viel zu Schwieriges vorgenommen zu haben. Sie vermochte an den Wert der Modelle aus rotem Wachs, dieser Figürchen, Ornamententwürfe und Skizzen nicht zu glauben. Mitunter aber bereute sie wieder ihre Härte und suchte deren Spuren durch doppelte Sorgfalt, Zärtlichkeit und kleine Aufmerksamkeiten zu verwischen. Wenn der junge Mann eben über seine Abhängigkeit von dieser Megäre gestöhnt und über die Herrschaft dieser Bäuerin aus den Vogesen gejammert hatte, war er dann wieder beglückt von Lisbeths Schmeicheleien und ihrer mütterlichen Fürsorge, die sich freilich nur mit seinem körperlichen und materiellen Wohl beschäftigte. Er war wie eine Frau, die sich von ihrem Manne für die Liebkosungen einer vorübergehenden Versöhnung eine ganze Woche lang schlecht behandeln läßt. Lisbeth vergewaltigte seine Seele vollständig. Die Herrschsucht, die bisher nur als Keim im Herzen der alten Jungfer geruht hatte, entwickelte sich alsbald rasend schnell. Jetzt konnte sie ihrem Hochmut und ihrem Tätigkeitstriebe Genüge tun, denn jetzt gehörte ihr ein Geschöpf, das sie schelten, leiten, liebkosen und beglückwünschen konnte, ohne irgendwelche Nebenbuhlerschaft fürchten zu müssen. So kam das Gute wie das Böse ihrer Natur zur Geltung. Wenn sie den beklagenswerten Künstler manchmal peinigte, so hatte sie dann wieder etwas unendlich Zartes, das man der Anmut einer Feldblume vergleichen konnte. Sie freute sich, daß er nichts entbehrte, und hätte ihr Leben gern für ihn hingegeben. Wie alle Romantiker übersah der arme Junge das Unrecht und die Fehler des alten Fräuleins. Übrigens hatte ihm Lisbeth zur Entschuldigung ihrer Schroffheit ihren Lebenslauf erzählt. So gedachte er nur immer ihrer Wohltaten.
Eines Tages war Lisbeth außer sich darüber, daß Stanislaus statt zu arbeiten bummeln gegangen war, und machte ihm eine Szene.
»Du gehörst mir«, sagte sie zu ihm, »und wenn du ein anständiger Mensch bist, solltest du versuchen, das, was du mir schuldest, so bald als möglich abzuzahlen.«
Der Edelmann wurde bleich.
»Bei Gott«, fuhr sie fort, »bald bleiben uns zum Leben nur noch die fünfzehn Groschen, die ich armes Mädchen täglich verdiene.«
Die beiden armen Menschen erhitzten sich im Wortgefecht und standen einander feindselig gegenüber. Zum erstenmal machte der arme Künstler seiner Wohltäterin Vorwürfe, daß sie ihn vom Tode errettet habe, um ihm ein Sträflingsleben zu bereiten, das schlimmer sei als das ewige Nichts, in dem man wenigstens seinen Frieden habe. Das Wort »Flucht« entschlüpfte ihm.
»Fliehen!« schrie die alte Jungfer. »So hat Rivet also doch recht gehabt!«
Und kategorisch erklärte sie dem Polen, wie man ihn binnen vierundzwanzig Stunden für den Rest seiner Tage ins Gefängnis sperren könne. Das
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