Tante Lisbeth (German Edition)
die Rue de l'Université, den Pont de la Concorde und die Avenue de Marigny. Dieser unlogische Weg wurde ihr durch die Logik der Leidenschaft vorgeschrieben, die immer eine Feindin der Beine ist. Sobald sie auf den Kais war, begann sie langsam zu gehen und das rechte Seineufer zu beobachten. Ihre Berechnung war durchaus richtig. Als sie wegging, war Stanislaus beim Ankleiden. Sobald sich der Verliebte von mir befreit sieht, hatte sie sich gesagt, wird er auf dem kürzesten Wege zur Baronin laufen. Und in der Tat erblickte sie in dem Augenblick, wo sie das Geländer am Quai Voltaire entlang ging und in die Fluten schaute, immer in Gedanken auf dem andern Ufer, den Künstler, wie er gerade aus dem Tor des Tuileriengartens kam und dem Pont-Royal zueilte. Dort erreichte sie ihn beinahe und folgte ihm, ohne daß er es merkte. Verliebte blicken sich selten um... . So begleitete sie ihn heimlich bis an das Hulotsche Haus, in dem sie ihn verschwinden sah so recht wie jemand, der dort aus und ein zu gehen gewohnt war. Letztere Wahrnehmung bestätigte ihr den Bericht von Frau Marneffe. Lisbeth war außer sich.
In der innerlichen Erregung, die sie zu einer Mordtat fähig gemacht hätte, kam sie zu dem neubackenen Major und Bataillonskommandeur. Crevel stand in seinem Salon; er erwartete seine Kinder: Herrn und Frau von Hulot junior.
Cölestin Crevel war ein waschechter Pariser Emporkömmling. Naive Menschen schaffen sich oft ein ganz besonderes Vorbild. So träumt ein Banklehrling, wenn er den Salon seines Chefs betritt, vom künftigen Besitz genau eines solchen Salons. Gelangt er später zu Reichtum, so wird er sich nicht in dem Geschmacke, der dann nach zwanzig oder mehr Jahren herrscht, einrichten, sondern in jenem längst altmodisch gewordenen Luxus, der ihn als Lehrling faszinierte. Man glaubt gar nicht, was alles für Torheiten aus dieser rückblickenden Bewunderung begangen werden. Ebensowenig versteht man gewisse Albernheiten, die einer geheimnisvollen Eifersucht entquellen, die den Menschen dazu treibt, mit Aufbietung aller Kräfte ein imaginäres unmögliches Vorbild zu erreichen. Crevel war nur deshalb Stadtrat geworden, weil Cäsar Birotteau, sein einstiger Prinzipal, einer gewesen war, und nur deshalb Bataillonschef der Bürgerwehr, weil ihn damals nach den Epauletten seines Vorbildes gelüstet hatte. Aus dem gleichen Grunde war Crevel ein Bewunderer der bizarren Manier des Architekten Grindot geblieben, der seinerzeit bei der Einrichtung von Birotteaus Heim seine Kunst entfaltet hatte. Als er soweit war, sich ein eigenes Haus ausschmücken zu können, hatte er »kurzen Prozeß gemacht« – wie er sich ausdrückte – und war mit geschlossenen Augen und offenem Portemonnaie zu Grindot gegangen, den nunmehr längst vergessenen Baukünstler. So lebt verloschener Ruhm durch nachzüglerische Bewunderer wer weiß wie lange fort.
Grindot hatte seinen Salon in Weiß-Gold mit rotem Damast zum tausendsten Male wiederholt. Die Möbel aus Palisanderholz hatten keinen Wert; Kronleuchter und Standuhr ebensowenig. Der Gipfelpunkt des Entzückens aller Spießbürger, deren Besuch Crevel empfing, war aber ein in der Mitte des Salons feststehender runder Tisch, dessen Platte ein Mosaik von allerlei Marmorstückchen war. Sie stammte aus Rom, wo es eine Fabrik derartiger mineralogischer Musterkarten gab. An den Wänden hingen die gleich großen Bildnisse des Herrn Crevel und seiner verstorbenen Ehegattin sowie die der Tochter und des Schwiegersohns, alle vier von Pierre Grassou gemalt, dem Modemaler der damaligen Bourgeoisie. Crevel hatte ihm auf seinem Porträt eine lächerliche Pose à la Lord Byron zu verdanken. Die pompösen Rahmen, von denen jeder tausend Francs gekostet hatte, paßten vorzüglich in diesen Kaffeehausstil. Jeder echte Künstler hätte ihn achselzuckend abgelehnt.
Zu keiner Zeit verpaßte der Reichtum die Gelegenheit, Geschmacklosigkeiten in die Welt zu setzen. Man könnte heute in Paris ein zehnfaches Venedig sehen, wenn die reichen ehemaligen Kaufleute jenen großartigen Kunstsinn der alten Italiener hätten. Aber auch in unsern Tagen noch hat ein mailändischer Kaufmann eine halbe Million zur Vergoldung der Madonna auf der Kuppel des Doms vermacht. Canova trägt in seinem Testament seinem Bruder auf, eine Kirche für vier Millionen zu bauen, und der Bruder fügte aus seinem Vermögen noch etwas hinzu. Kein Pariser Bürger denkt je daran, die unvollendeten Glockentürme von Notre-Dame ausbauen zu lassen.
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