Tante Lisbeth (German Edition)
wie die Bordelle an ihren roten Laternen. Ein Mann weiß vor solchen Weibern, daß er sich in Gefahr begibt. Die übertünchte Ehrbarkeit aber, die falsche Tugend, das heuchlerische Getue einer verheirateten Frau, die keine andern Bedürfnisse zu haben vorgibt, als ein Alltagshaushalt erfordert, und die sich gegen törichte Ausgaben scheinbar sträubt – das führt ohne Sang und Klang in den Abgrund. Hier ist ein schlichtes Ausgabenbuch, nicht phantastische Lebenslust, die Unsummen verschlingt. Familienväter ruinieren sich so im stillen, und nicht einmal die befriedigte Eitelkeit ist die große Trösterin in ihrem Elend.
Man findet Frauen wie die Marneffe auf allen Rangstufen der Gesellschaft, sogar im Dunstkreise der Fürstenhöfe. Valerie ist bis in die kleinsten Einzelheiten eine durchaus realistische Kopie nach dem Leben. Trotzdem wird dieses düstere Bild niemanden von dem Wahnwitz abhalten, sich in einen Engel mit süßem Lächeln, träumerischen Augen, unschuldigem Gesicht und – einer Geldkassette an Stelle des Herzens zu verlieben.
Etwa drei Jahre nach Hortenses Verheiratung, im Jahre 1841, galt der Baron Hulot von Ervy für solid geworden, wie man zu sagen pflegt. Dabei hatte ihn Frau Marneffe währenddem zweimal soviel gekostet wie einst Josepha. Obgleich sie immer schick aussah, kaprizierte sie sich vor der Öffentlichkeit geradezu auf die Einfachheit einer mittleren Beamtenfrau und sparte sich den raffinierten Luxus für ihre Toiletten im Boudoir und im Salon auf. Sie verzichtete also ihrem Hektor zuliebe auf die Eitelkeit der Pariserin. Nur wenn sie in das Theater fuhr, trug sie immer einen hübschen Hut und ein modisches elegantes Kleid. Der Baron pflegte sie im Wagen und in die für sie gemietete Loge zu begleiten.
Ihre Wohnung in der Rue Vanneau, die den ganzen zweiten Stock eines neuzeitlichen Palastes einnahm, machte einen durchaus ehrbaren Eindruck. Der Luxus beschränkte sich auf ein paar persische Teppiche und das höchst behagliche hübsche Mobiliar. Das Schlafzimmer machte eine Ausnahme; es zeigte jene gewisse Üppigkeit, wie sie die besseren Kurtisanen lieben: Spitzengardinen, seidene Vorhänge, Brokatportieren; dazu einen Kaminaufsatz nach einem Modell von Stidmann und ein Glasschränkchen voller Kostbarkeiten. Hulot war durchaus nicht der Mann, seine Valerie in einem Nest zu halten, das im Vergleich zu dem an Schätzen reichen Sündenheim einer Josepha armselig und schmucklos ausgesehen hätte. Von den beiden Hauptzimmern, dem Salon und dem Eßzimmer, hatte das erstere Möbel mit rotem Damast, das andere in geschnitzter Eiche. Vom Wunsche geleitet, alles ganz ordentlich zu haben, hatte Hulot nach einem halben Jahre dem scheinbaren Luxus wirkliche Wertsachen hinzugefügt, zum Beispiel Silberzeug, das ihn vierundzwanzigtausend Francs kostete.
Das Haus Marneffe erwarb sich binnen zweier Jahre den Ruf, urgemütlich zu sein. Man spielte daselbst. Valerie galt als eine liebenswürdige und kluge Frau. Um den Wandel ihrer Verhältnisse nach außen zu begründen, verbreitete man das Märchen, ihr natürlicher Vater, der Marschall Montcornet, habe ihr ein beträchtliches Vermächtnis in Gestalt einer Rente vermacht. Auf ihre Zukunft bedacht, begann sie neben ihrer gesellschaftlichen Komödie auch die Fromme zu spielen. Sie ging regelmäßig sonntags in die Kirche und kam in den Geruch der Frömmigkeit. Sie beteiligte sich an gemeinnützigen Sammlungen, unterstützte die Schwesternstifte, beschenkte die Kirche und wurde eine Wohltäterin ihres Viertels – immer auf Kosten Hulots. In ihrem Hause vollzog sich alles nach bester Sitte. So kam es, daß viele Leute steif und fest glaubten, ihre Beziehungen zum Baron seien lauter und rein, wobei man das Alter des Staatsrats in die Waagschale warf und ihm eine platonische Vorliebe für die witzige Art, das entzückende Wesen und die Plauderkunst der Frau Marneffe andichtete.
Der Baron pflegte sich gegen zwölf Uhr mitternachts zugleich mit allen Gästen zu empfehlen. Eine Viertelstunde später war er wieder da. Er bewerkstelligte das auf folgende geheimnisvolle Art. Den Pförtnerposten des Hauses hatte das Ehepaar Olivier inne. Durch die Empfehlung des Barons, der mit dem Hausbesitzer bekannt war, hatten die Leute ihren früheren gewöhnlichen und wenig einträglichen Hausmannsposten in der Rue du Doyenné mit dem vorzüglich gestellten in der Rue Vanneau vertauscht. Frau Olivier, ehemalige Wäschebeschließerin am Hofe Karls X., mit der legitimen
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