Tante Lisbeth (German Edition)
Künstler ihr Alleinsein kaum erwarten konnten.
Früh sieben Uhr erschien der Baron wieder auf dem Balle, um seinen Sohn und seine Schwiegertochter abzulösen. Er war überglücklich. Er hatte in seiner Valerie die verschämteste Braut und die raffinierteste Teufelin gefunden.
Wie auf allen Hochzeiten hatten sich jene Tänzer und Tänzerinnen des Terrains bemächtigt, die nie genug haben. Die Spieler saßen wie angewurzelt an ihren Tischen. Vater Crevel hatte in der Nacht sechstausend Francs gewonnen. Indessen berichteten die Morgenzeitungen bereits von dem Feste.
Wenn sich in Paris eine Frau entschlossen hat, aus ihrer Schönheit ein Geschäft, Marktware zu machen, so ist damit noch lange nicht gesagt, daß sie Glück hat. Man trifft unter diesen Frauen, die allerdings in der erschreckenden Mehrzahl Durchschnittsnaturen sind, wundervolle und geistig hervorragende Geschöpfe, deren galantes Leben häufig sehr schlimm endet. Und zwar aus folgendem Grunde. Das Betreten der unehrenhaften Laufbahn einer Kurtisane in der Absicht, wirtschaftliche Vorteile daraus zu schlagen, selbst wenn man dabei die Maske einer anständigen Bürgersfrau beibehält, genügt an und für sich nicht. Die Sünde feiert so leicht nicht ihre Triumphe. Es ist ganz ähnlich wie mit dem Genie. Bei beiden muß eine Menge glücklicher Umstände mitwirken, ehe der Erfolg kommt. Man denke an Napoleon Bonaparte. Eine käufliche Schönheit ohne Liebhaber, ohne Berühmtheit, ohne den blutigen Glorienschein, soundso viel Existenzen vernichtet zu haben, ist wie ein Correggio in der Rumpelkammer, wie ein Genie, das in der Dachkammer verhungert. Eine Lais von Paris muß somit vor allen Dingen einen reichen Mann finden, der verliebt genug in sie ist, um sie ordentlich zu bezahlen. Sie muß todschick sein. Die Eleganz ist Bedingung. Das und ein leidlich gutes Benehmen schmeicheln der Eitelkeit der Männer. Eine solche Frau muß den natürlichen Witz einer Sophie Arnould haben; das reizt die Blasiertheit der Reichen. Schließlich muß sie es verstehen, einem Roue begehrenswert zu erscheinen, indem sie offenbar einem einzigen treu ist, den man allgemein darum beneidet.
Alle diese günstigen Vorbedingungen, die Frauen dieser Art Chance nennen, lassen sich in Paris gar nicht so leicht erfüllen, obgleich die Stadt von Millionären, Müßiggängern, Lebemännern und Phantasten wimmelt. Zweifellos schützt die Vorsehung in wirksamer Weise die Ehen des Beamtenstandes und Kleinbürgertums. In so einem Milieu sind die Hindernisse mindestens doppelt so groß. Trotzdem gibt es in Paris noch genug Frauen wie Valerie Marneffe, in der man einen Typ der Sittengeschichte dieser Stadt vor sich hat. Von diesen Frauen gehorchen die einen ebenso wirklicher Leidenschaft wie der Not. Es ist ihnen unmöglich, ihren Haushalt mit augenscheinlich viel zu knappen Mitteln aufrechtzuerhalten. Andere werden von der Eitelkeit verführt. Die Sucht nach Luxus läßt sie straucheln. Die Sparsamkeit des Staates oder der Kammern, wenn man lieber so sagen will, ist vielfach am Elend und an der sittlichen Entartung des Mittelstandes schuld. Man bemitleidet heutzutage in hohem Maße den Arbeiter. Man spricht von den ihn aussaugenden Arbeitgebern. Aber der Staat ist hundertmal hartherziger als der habgierigste Industrielle. Er geizt mit den Gehältern der kleinen Beamten auf das unsinnigste. Ein besonders tüchtiger Arbeiter wird auf alle Fälle entsprechend bezahlt. Der Staat aber ignoriert die Begabten.
Es gilt für eine verheiratete Frau als ein unentschuldbares Vergehen, vom Pfade der Tugend abzuweichen. Indessen gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Fällen. Manche Frauen, im Grunde durchaus nicht entartet, verbergen ihre Sünde und wahren den Schein der anständigen Frau. Andere wiederum begehen ihre Ausschweifungen aus gemeiner Berechnung. Frau Marneffe war eine Vertreterin des Typs der ehrgeizigen verheirateten Dirne, die sich von vornherein mit der Schmach und allen ihren Folgen abfindet, fest entschlossen, sich auf vergnügliche Weise ein Vermögen zu erwerben, und in der Wahl der Mittel skrupellos. Fast immer sind die Ehemänner dieser Frauen – wie bei Frau Marneffe – Mitwisser und Zuhälter. Diese Macchiavellis in Unterröcken sind die gefährlichsten Weiber. Unter der schlimmen Sorte von Pariserinnen sind das die allerübelsten. Wirkliche Kurtisanen wie Josepha, Jenny Cadine und ähnliche machen kein Hehl aus ihrer sozialen Stellung. Sie sind nicht minder leicht erkennbar
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