Tante Lisbeth (German Edition)
Monarchie zugleich »gestürzt«, hatte drei Kinder. Der älteste Junge, bereits Schreiberlehrling bei einem Notar, war der Augapfel seiner Eltern. Das Goldsöhnchen war nahe daran gewesen, sechs Jahre als Soldat dienen zu müssen, wodurch seine gute Laufbahn unterbrochen worden wäre. Da hatte ihm Frau Marneffe die Befreiung vom Militärdienst eines jener körperlichen Fehler wegen erwirkt, wie sie die Aushebungskommissionen zu entdecken wissen, wenn sie insgeheim von einflußreichen Persönlichkeiten darum angegangen werden. Infolgedessen gingen Olivier (er war ehedem königlicher Bereiter) und seine Frau für den Baron Hulot und seine Geliebte durchs Feuer.
Die Gesellschaft ist immer auf das äußerste nachsichtig gegen die Herrin eines Hauses, in dem man sich amüsiert. Frau Marneffe hatte überdies, abgesehen von allen andern Annehmlichkeiten des Verkehrs mit ihr, den Vorzug, die Vertreterin einer heimlichen Macht zu sein. So ging zum Beispiel Claude Vignon, damals Sekretär des Marschalls Fürsten von Weißenburg, ein Mann, der sich bereits als Mitglied des Staatsrats (und zwar als Berichterstatter über die Bittgesuche) sah, im Salon der Frau Marneffe ein und aus. Verschiedene Abgeordnete, brave harmlose Leute, verkehrten ebenfalls dort, des Hasardspiels wegen. Der Kreis ihres Hauses hatte sich in kluger Langsamkeit gebildet. Die nach und nach hinzukamen, waren immer nur Leute, die in Sitte und Gesinnung hineinpaßten, denen daran gelegen war, dauernd darin zu bleiben, und die infolgedessen Herolde der hohen Vorzüge der Hausherrin waren. Das Cliquenwesen ist ja die Hauptstaatsmacht in Paris. Die Interessen der einzelnen laufen schließlich immer auseinander, aber in der Sünde verträgt man sich.
Drei Monate nach ihrem Einzug in die Rue Vanneau hatte Frau Marneffe den Besuch Crevels empfangen, der eben Bürgermeister seines Bezirks und Offizier der Ehrenlegion geworden war. Crevel hatte lange gezögert. Es handelte sich für ihn darum, den schönen bunten Rock der Bürgerwehr, in dem er in den Tuilerien einherstolziert war, an den Nagel zu hängen. Nicht zu vergessen, daß er sich als Soldat für einen zweiten Napoleon hielt. Aber sein von Frau Marneffe beratener Ehrgeiz war mächtiger als seine Eitelkeit. Der neubackene Herr Bürgermeister hielt sein Verhältnis mit Heloise Brisetout für unvereinbar mit seiner politischen Stellung. Schon vor seiner Thronbesteigung im Rathause hatte sich daher sein Liebesleben in mystischer Verborgenheit abgespielt. Nunmehr hatte er sich das Recht, ob des Raubes der Josepha Rache zu nehmen, so oft er das imstande war, durch einen Renteneintrag von sechstausend Francs auf Frau Valerie Marneffe geborene Fortin, der in Gütertrennung lebenden Gattin des Herrn Marneffe, käuflich erworben. Valerie, offenbar von mütterlicher Seite her mit dem Sondersinn der ausgehaltenen Frau erblich belastet, hatte den Charakter ihres grotesken Verehrers mit einem Blick durchschaut. Jenes Geständnis, das Crevel Lisbeth gemacht hatte: »Ich habe noch nie eine Frau der Gesellschaft gehabt!«, hatte die alte Jungfer ihrer Busenfreundin Valerie getreulich berichtet; es hatte wesentlich bei dem Schacher mitgewirkt, dem Valerie ihre sechstausend Francs Rente verdankte. Seitdem hatte sie sich in ihrem Prestige vor dem ehemaligen Kommis in Firma Cäsar Birotteau nie wieder etwas vergeben.
Crevel hatte eine Geldheirat gemacht, als er die Tochter (übrigens das einzige Kind) eines Mühlenbesitzers aus der Brie heiratete, dessen Vermögen er zu zwei Dritteln erbte. Die Kleinindustriellen werden meist weniger durch ihr Geschäft reich als durch das Zusammenwirken von Geschäft und Landwirtschaft. Für viele Pächter, Mühlenbesitzer, Viehzüchter und Bauern in der Umgebung von Paris ist der Inbegriff eines Schwiegersohnes ein Kaufmann. Ein Ladeninhaber, ein Goldwarenhändler, ein kleiner Bankier ist ihnen für ihre Töchter viel willkommener als ein Rechtsanwalt oder ein Arzt, dessen höhere gesellschaftliche Stellung sie beunruhigt. Sie haben Angst, später von diesem sozusagen besseren Bürger über die Achsel angesehen zu werden. Frau Crevel, eine ziemlich häßliche, höchst gewöhnliche und ungebildete Frau, die sehr bald starb, hatte ihrem Manne weiter keine Freude als die der Vaterschaft gemacht. Zu Beginn seiner kaufmännischen Laufbahn hatte Crevel, eine lüsterne Natur, in den Fesseln seines Berufs und im Joche seiner Armut die Rolle eines Tantalus spielen müssen. Er bewunderte die vornehmen
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