Tante Lisbeth (German Edition)
sich nunmehr in all seinen Bewegungen auszusprechen. Er alterte erstaunlich. Nur seine schwarz gebliebenen Augenbrauen erinnerten noch an den schönen Hulot. Diese Unstimmigkeiten wurden verstärkt durch seinen jugendlich gebliebenen lebhaften Blick, der in einem fahlen Gesichte viel mehr wirkte als in seinem früheren, das im Fleischton eines Rubens geprangt hatte, während längst gewisse Falten, Furchen und Runzeln den Zwiespalt zwischen Natur und Leidenschaft verrieten.
Wie hatte es aber Valerie fertiggebracht, sich Hulot und Crevel brüderlich vereint zu halten, wo doch der rachsüchtige Bataillonskommandeur sich seines Triumphes über Hulot laut rühmen wollte? Tante Lisbeth und Valerie hatten hier ihre Hände gemeinsam im Spiele.
Als Marneffe, Valeries Gatte, seine Frau im Glanze des Kreises sah, in dessen Mitte sie strahlte wie eine Sonne in ihrem Planetensystem, loderten seine Gefühle für sie scheinbar wieder auf. Er spielte den Tollverliebten. Wenn seine Eifersucht auch störend war, so verlieh sie den Gunstbezeigungen Valeries doch einen ganz besonderen Wert. Marneffe bekundete seinem Chef nichtsdestoweniger ein Vertrauen, das in seiner Gutmütigkeit ins Lächerliche ging. Der einzige, der dem Baron nicht so recht behagte, war tatsächlich Crevel.
Marneffe hatten jene Ausschweifungen ausgemergelt, die sich nur der Großkapitalist leisten kann. Die römischen Dichter haben sie geschildert; die moderne Prüderie hat keine Ausdrücke für sie. Er war häßlich geworden wie eine Wachsfigur in einem anatomischen Kabinett. Die wandelnde Krankheit in eleganter Kleidung! Seine Beine schlotterten in der Hose wie zwei Stöcke. Hinter der blendenden Wäsche verbarg sich die welke Haut, und im Parfüm erstarb der üble Hauch des menschlichen Verfalls. Die Ekelhaftigkeit des verfaulenden, dabei noch auf Stöckelschuhen einherstolzierenden Lasters war für Crevel etwas Unausstehliches. Marneffe wirkte auf den Bürgermeister wie ein Gespenst. Den gemeinen Kerl belustigte die Wirkung. Die Karten waren das einzige, was auf diese geistige wie körperliche Ruine noch einen Reiz ausübte. Marneffe rupfte Crevel, der sich verpflichtet hielt, mit diesem Ehrenmanne, dem er Hörner aufsetzte, nachsichtig zu sein.
Hulot beobachtete den Verkehr zwischen Crevel und der verworfenen Kreatur, vor allem die starke Verachtung Valeries, die über Crevel lachte wie über einen Hampelmann. Und so wähnte er sich gegen jede Nebenbuhlerschaft gefeit. Er lud Crevel regelmäßig zu Tisch ein.
Behütet von diesen beiden Verehrern, die ihr wie Schildwachen zur Seite standen, und von ihrem anscheinend eifersüchtigen Ehemann, zog Valerie die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. In ihrem Strahlenbereich erregte sie die Begierde aller Männer. So gelang es ihr in den drei Jahren unter vollkommener Wahrung des Scheines, die schwierigsten Bedingungen jenes Erfolgs zu erfüllen, nach dem die Dirnen trachten, den sie aber so selten erringen trotz allen Skandals, aller Frechheit und alles Prunkens am hellichten Tage. Sie richtete dadurch viel Unheil an. Auch Claude Vignon war insgeheim verliebt in sie.
Wenden wir uns zu Tante Lisbeth.
Sie nahm im Hause Marneffe die Stellung einer Verwandten ein; dabei war sie Gesellschafterin und Wirtschafterin in einer Person, ohne daß sie die Demütigungen empfand, die Frauen, die derartige fragwürdige Posten aus Not annehmen müssen, meistens bedrücken. Lisbeth und Valerie boten das rührende Bild der Frauenfreundschaft. Freundschaft unter Frauen ist etwas so Unmögliches, daß die immer überklugen Pariser die beiden Freundinnen verleumdeten.
Mit Lisbeth hatte sich eine große Umwälzung vollzogen. Die sonderbare alte Jungfer sah jetzt, wo sie ein Korsett trug, ganz schneidig aus. Sie pflegte ihr Haar, trug gut gemachte Kleider, Lackstiefelchen und grauseidene Strümpfe, übrigens alles auf Valeries Rechnung, die dann der bezahlte, dem das Bezahlen gerade zukam. So aufgefrischt, immer in ihrem gelben Kaschmirschal, erkannte man die alte Tante Lisbeth gar nicht wieder. Wer sie zum ersten Male sah, empfand freilich unwillkürlich einen Schauer vor ihrer wilden Romantik, die von der geschickten Valerie ins rechte Licht gesetzt wurde, indem sie die Kleidung dieser »Nonne« verfeinerte. Auf ihr Geheiß ward Lisbeths hageres olivenfarbenes Gesicht, aus dem nur das Schwarz der Augen im Einklange mit ihrem schwarzen Haar herausleuchtete, mit einer flachen Scheitelfrisur umrahmt, was ihrer steifen Erscheinung
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