Tante Lisbeth (German Edition)
sagte Valerie. »Lisbeths Zustand erlaubt ihr nicht, Besucher anzunehmen. Du hast wohl Angst, dir auf der Straße den Rheumatismus zu holen. Geh oder – gute Nacht!«
»Ich empfehle mich, meine Herren!« sagte der Baron mit lauter Stimme. An der Achillesferse des alten Mannes getroffen, wollte er beweisen, daß er noch Jüngling genug sei, um in der nächtlichen Straße einer Schäferstunde zu harren. Er ging.
Marneffe sagte seiner Frau gute Nacht. Er gab ihr dabei in demonstrativer Zärtlichkeit beide Hände. Valerie drückte ihm eine in einer ganz bestimmten Weise, was besagen sollte: Schaff mir den Crevel vom Halse!
»Gute Nacht, Crevel!« sagte er darauf. »Ich hoffe, Sie halten Valerie nicht lange auf. Ich bin nämlich eifersüchtig. Das ist bei mir ein bißchen spät gekommen, aber nun ist es da. Ich werde nach einer Weile nachsehen, ob Sie fort sind.«
»Wir haben geschäftliche Angelegenheiten zu besprechen, aber ich werde schnell machen.«
»Sprich leise!« mahnte Valerie. »Was willst du?« Sie sprach unsicher und betrachtete Crevel mit einer Miene, in der sich Unnahbarkeit und Verachtung paarte. Angesichts dieser Geringschätzung wurde Crevel, der Valerie beträchtliche Dienste erwiesen hatte und das gern herausstrich, doch demütig und unterwürfig.
»Der Brasilianer...«, fing er an, blieb aber stecken, als er merkte, wie scharf und hochmütig Valerie ihn ansah.
»Weiter!« drängte sie.
»Dieser Vetter...«
»Er ist gar kein Vetter von mir«, sagte sie, »nur vor der Gesellschaft und vor Marneffe. Und selbst wenn er mein Geliebter wäre, müßtest du ganz still sein. Ein Krämer, der sich eine Frau erkauft, bloß um sich an einem Manne zu rächen, steht in meiner Achtung tief unter dem, der sie sich aus Liebe erschachert. Du warst in mich nicht verliebt, du sahst in mir die Mätresse des Barons von Hulot, und du hast mich gekauft, wie sich ein anderer eine Pistole kauft, um seinen Gegner niederzuknallen. Ich hatte Hunger, ich machte mit.«
»Du hast den Vertrag aber noch nicht völlig erfüllt!« widersprach Crevel, in dem der Kaufmann erwachte.
»So? Du willst, Hulot solle erfahren, daß du ihm seine Geliebte ausgespannt hast als Revanche für die Wegkaperung der Josepha? Nichts beweist mir mehr deine Gemeinheit. Du gibst vor, eine Frau zu lieben; du behandelst sie wie eine Fürstin und willst sie doch nur entehren! Aber freilich, mein Verehrter, du hast vollkommen recht. Ich stehe tief unter Josepha. Dieses Weib hat den Mut zur Schande, während ich eine Heuchlerin bin, wert, öffentlich ausgepeitscht zu werden. Josepha schützt sich durch ihre Künstlerschaft und ihr Geld. Mein einziger Schutz ist das Firmenschild der anständigen Frau. Ich gelte als ehrbare brave Bürgersgattin. Wenn du einen Skandal verursachst, was bin ich dann? Wenn ich wenigstens Vermögen besäße. Aber ich besitze zur Zeit höchstens fünfzehntausend Francs Rente. Mehr ist es doch nicht?«
»Viel mehr!« berichtigte Crevel. »Ich habe in den letzten Monaten deine Einkünfte durch Spekulationen verdoppelt.«
»Mag sein, aber in Paris beginnt das Ansehen erst bei fünfzigtausend Francs Rente. Du kannst mir keine genügende Geldentschädigung für die gesellschaftliche Stellung geben, die ich verlieren werde. Was war mein Ziel? Marneffe zum Kanzleidirektor zu machen. Dann bekäme er sechstausend Francs Gehalt. Er ist siebenundzwanzig Jahre im Amt. In drei Jahren hätte ich Anspruch auf fünfzehnhundert Francs Pension, wenn er stürbe. Ich habe dich mit Güte überschüttet; du schwimmst im Glück, und doch verstehst du nicht zu warten! Und das nennt sich Liebe!«
»Wenn ich auch aus Berechnung angefangen habe: ich bin doch dein treuestes Schäfchen geworden!« warf Crevel ein. »Du aber hast mein Herz mit Füßen getreten, hast mich malträtiert, vor den Kopf gestoßen. Und ich liebe dich, wie ich noch nie geliebt habe! Valerie, ich liebe dich genauso wie meine Colestine! Deinetwegen bin ich zu allem fähig. Also gut! Bisher trafen wir uns zweimal in der Woche in der Rue du Dauphin. Komm fortan dreimal hin!«
»Sapperlot! Du wirst wieder jung, Verehrter!«
»Laß mich Hulot wegschicken, ihn demütigen, dich ihm ganz wegnehmen!« bat Crevel, ohne ihre Unverschämtheit zu beachten. »Jag den Brasilianer zum Teufel und sei einzig mein! Du sollst es nicht zu bereuen haben. Zunächst würde ich dir achttausend Francs Rente eintragen lassen, aber auf Lebenszeit! Das Kapital soll dir nach fünfjähriger Treue gehören
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