Tante Lisbeth (German Edition)
ich immer wieder. In den Tuilerien darf ich einmal nicht so reden! Und ich will doch ein Grandseigneur werden! Nein, diese Frau! Es geht mir durch Mark und Knochen, wenn sie mich so kalt anguckt! Und ihre Grazie! Ihre Geistesgegenwart! Josepha hat mich niemals so aus dem Häuschen gebracht. Und alle ihre Vorzüge kenne ich noch nicht einmal... Halt! Da steht ja mein Mann!«
Im Dunkel der Rue de Babylone sah er die lange Gestalt des Barons, der, ein bißchen geduckt, an der Bretterwand eines Neubaus hinschlich. Crevel ging geradenwegs auf ihn zu.
»Guten Morgen, Baron. Der neue Tag ist nämlich schon losgegangen. Verehrter! Zum Donnerwetter, was machst du denn hier? Du promenierst ein bißchen im Sprühregen? Bei deinem Alter ist das nicht gerade gesund. Soll ich dir einen Vorschlag machen? Wir wollen beide nach Hause gehen. Denn, unter uns gesagt, die Kerze im Fenster kriegst du heute nicht zu sehen ...«
Bei dieser Anspielung spürte Hulot mit einem Male seine dreiundsechzig Jahre und daß sein Mantel regenfeucht geworden war.
»Woher weißt du das?« fragte er.
»Von Valerie natürlich! Von unserer Valerie! Das heißt von nunmehr einzig und allein meiner Valerie! Wir sind quitt, Baron! Du darfst dich darüber nicht ärgern. Du weißt doch, daß ich mir seinerzeit das Recht auf Rache vorbehalten habe. Du hast ein Vierteljahr gebraucht, um mir Josepha auszuspannen. Na und ich, ich habe Valerie herumgekriegt in ... aber das ist ja eine Sache für sich. Jetzt will ich sie ganz für mich haben, aber wir bleiben dennoch gute Freunde!«
»Crevel, mach keine Witze!« entgegnete der Baron mit wuterstickter Stimme. »Es handelt sich um Leben oder Tod!«
»Nimm es nur nicht gleich tragisch, Baron! Erinnerst du dich, daß du mir an Hortenses Hochzeitstag gesagt hast: »Ist das eine Sache, daß zwei alte Sünder wie wir beide sich einer Schürze wegen entzweien? Das ist kleinlich. Spießbürger machen das so.« Einverstanden! Wir machen es wie im Ancien régime. Pompadour! Marschall Richelieu! Rokoko! Ja, ich wage es zu sagen: Liaisons dangereuse!«
Crevel hätte in diesem literarischen Stil noch lange fortfahren können. Hulot hörte unbeweglich zu. Aber als der Sieger im Scheine einer Laterne das fahlgewordene Gesicht seines Feindes sah, hielt er inne, Hulot war nach den Beteuerungen der Frau Olivier und nach Valeries Blick beim Abschiednehmen mit einem Male wie vom Donner gerührt.
»Du mein Gott!« rief er endlich aus. »Es gibt in Paris soviel andere Frauen ...«
»Dasselbe habe ich dir gesagt, als du mir Josepha genommen hast!« entgegnete Crevel.
»Höre mich an, Crevel! Das ist unmöglich! Gib mir Beweise! Hast du, wie ich, einen Hausschlüssel?«
Wieder vor dem Hause angelangt, steckte der Baron seinen Schlüssel ins Schlüsselloch; aber die Tür ging nicht auf, und er versuchte vergeblich, sie zu öffnen.
»Keine nächtliche Ruhestörung!« riet Crevel gemütlich. »Ich sage dir, Baron, ich besitze bessere Schlüssel zur Geschichte als deiner da...«
»Beweise! Beweise will ich!« wiederholte Hulot, maßlos erregt und fast wahnsinnig vor Schmerz.
»Komm mit! Ich will sie dir geben!«
Valeries Weisung gemäß führte Crevel den Baron den Kai entlang durch die Rue Hillerin-Bertin. Dem unglücklichen Staatsrate war zumute wie einem Kaufmann am Tage, ehe er seinen Konkurs anmelden muß. Er verlor sich in Vermutungen über den Anlaß der tief in Valeries Herzen verborgenen Entfremdung; er nahm an, das Opfer irgendeiner Mystifikation zu sein. Als er über den Pont-Royal ging, dünkte ihm sein Dasein so inhaltlos, so abgewirtschaftet, dabei so finanziell in Unordnung, daß er nahe daran war, einem bösen Drange nachzugeben: Crevel in den Fluß zu stürzen und dann selber hineinzuspringen.
In der Rue du Dauphin angekommen, die damals noch nicht verbreitert war, blieb Crevel vor dem Nebeneingang eines alten Hauses stehen. In diesem Gelände, dessen Eigentümer Crevel war und das ganz eigentümlich gebaut war, hatte er eine kleine Parterrewohnung von drei Zimmern: Salon, Eß- und Schlafzimmer. Dieses Nestchen, das zwei verschmitzte Zugänge hatte, war fast unauffindbar. Die Hausmannsfrau, von Crevel besonders besoldet, war nebenbei eine ausgezeichnete Köchin. Crevel konnte die Wohnung zu jeder Nachtstunde betreten und wieder verlassen, ohne irgendwelche Spionage befürchten zu müssen. Am Tage riskierte eine Dame, wenn sie nur so gekleidet war wie die Pariserinnen, die Einkäufe machen wollen, und wenn sie
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