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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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beschert wurde, wir werden es vertrauensvoll annehmen.
    Ich musste vertrauen. Dem Wunder vertrauen.
    Ich zögerte keinen Augenblick länger. Ich riss das Rollenpflaster von meinem Unterarm und zuckte vor Schmerz zusammen, als ich die Nadel aus meiner Vene zog.

[home]
    18
    17 . August 2011
    W ie konnte sie das tun? Wie konnte Lucy die Abtreibung verweigern? Wie konnte sie sich weigern, sich behandeln zu lassen – die Krebsbehandlung ablehnen, die ihr das Leben retten könnte –, bis das Baby auf der Welt ist? Was war aus ihren Versprechungen geworden? Wie konnte es so weit kommen? Ich schrie meine Wut über ihren Verrat in den Himmel, während ich immer schneller lief, mit immer größeren Schritten. Ich rannte am Limit meiner Kräfte, doch die rasende Wut war stärker als ich. Ich schaffte es nicht, sie zu zügeln. Nun lief ich schon fast eine Stunde lang, und mein Herz dröhnte in meiner Brust wie ein gelockertes Hanteleisen, doch der Klumpen unerträglicher Emotionen trieb mich immer weiter voran.
    Es war schon fast Morgen, und ich lief immer noch die Landstraße von Brinley nach Ivoryton entlang. Mein Atem war ein rauhes Keuchen. Ich zügelte das Tempo und japste nach Luft, und allmählich verblasste die zornige Farbe in meinem Kopf. Nach ein paar langsamen, tiefen Atemzügen fühlte ich, wie sie in mir aufwallten – die wahren Gefühle, die unter der Wut lagen, und der Schmerz war die Hölle.
    So ist das eben. Der Wut kann ich manchmal davonlaufen, aber niemals der Angst.
     
    In den frühen Morgenstunden flippte Mickey schließlich aus. Er war furchtbar wütend auf mich, und nichts, was ich sagte, beruhigte ihn, also gab ich auf. Ich versuchte nicht länger, es ihm zu erklären. Ich hörte auf, ihn besänftigen zu wollen oder ihm zu versprechen, dass ich mich jeglicher Behandlung unterziehen würde, die man mir empfahl, wenn das Baby erst geboren war. Er glaubte anscheinend nicht, dass ich so lange leben würde. Diese Angst sah ich in seinen Augen schimmern.
    Er war noch im Dunkeln gegangen, angeblich, um zu trainieren. Ich fand keinen Schlaf. Jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, sah ich eines von zwei Bildern vor mir: entweder diesen abscheulichen grauen Absaugschlauch oder Mickeys Gesichtsausdruck, als er erfuhr, was ich getan – oder vielmehr nicht getan – hatte.
    Am Morgen fühlten sich meine Augen an wie mit Schleifpapier überzogen, und ich wusste, dass ich entsetzlich aussah. Das war mir gleich. An diesem Tag würde ich das Bett nicht verlassen. Ich würde einfach liegen bleiben, meinen Plan des Oberstufenkurses fertigschreiben und schwanger sein. Bei dem Gedanken begannen meine Augen wieder zu brennen, und ich warf die Unterlagen auf den Boden und zog mir die Bettdecke über den Kopf. So versteckt lag ich da, als ich jemanden wild an die Haustür hämmern hörte. Es war mir egal. Wer auch immer das war, er würde irgendwann aufgeben und gehen. Es würde ihm gar nichts anderes übrigbleiben, denn ich hatte nicht vor, mich zu rühren.
    Aber es hörte nicht auf. Das Klopfen war aufdringlich, laut und beharrlich, und es nahm kein Ende. Das musste eine meiner Schwestern sein. Ich vergrub mich noch tiefer unter der Bettdecke, doch gleich darauf brüllte Priscilla unter meinem Schlafzimmerfenster herum, ich solle sie hereinlassen. Diese Forderung unterstrich sie mit ein paar Handvoll Erde und Steinchen, die an mein Fenster flogen.
    Ich ertrug ihre Rüpelhaftigkeit, so lange ich konnte. Dann stapfte ich die Treppe hinunter, stieß wütend die Haustür auf und ließ mich empört und beleidigt auf dem Sofa nieder, die Arme vor der Brust verschränkt, mit übellauniger, finsterer Miene. Es war nur Priscilla, und für sie hatte ich keine obligatorische Höflichkeit übrig.
    Meine Schwester knallte die Tür hinter sich zu. Sie baute sich vor mir auf, die Hände in die Hüften gestemmt, und tippte mit einem Fuß auf den Boden. Sie
tippte!
    »Lass das, Priscilla!«, schrie ich. »Wie kannst du einfach hier hereinplatzen und dich so aufführen! Was willst du?«
    »Was
soll
das, Lucy? Warum hast du die Abtreibung nicht machen lassen?«
    Ich stöhnte. »Gibt es in meinem ganzen Leben nichts mehr, was meine Privatsache ist?«
    »Wenn es so etwas gibt, dann ist das nicht dieses Baby. Und wenn es so etwas je gab, dann bevor du Mickey geheiratet hast.«
    Ich betrachtete meine Schwester. Priss hatte eine Art zu funkeln wie ein nagelneuer Penny, jederzeit, zu jedem Anlass, die mich ganz verrückt machte. Es war

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