Tanz auf Glas
noch früh am Tag – na gut, elf Uhr –, und sie war perfekt zurechtgemacht. Frisur, Make-up, hautenge Jeans, und aus ihren schicken Sandalen lugten lackierte Zehennägel hervor. Davon konnte einem wirklich schlecht werden.
»Wann hast du mit Mickey gesprochen?«
»Er hat mich in aller Herrgottsfrühe angerufen, vielen Dank auch, und mich angefleht, mit dir zu reden.«
Das war eine ziemliche Leistung für alle beide, denn sie ertrugen einander nur mühsam. Um meinetwillen hielten sie einen nie ausgesprochenen Waffenstillstand ein, als seien sie widerstrebend übereingekommen, sich in meiner Gegenwart nicht gegenseitig umzubringen. Und dennoch hatte Mickey sie angerufen? Ich fuhr mir mit den Händen durch das wirre Haar. Dann blickte ich zu Priss auf, und meine Gereiztheit verflog. Die Zehen hielten still.
»Was wollte er?«
»Was glaubst du denn? Ich soll dich überreden, wieder in diese Klinik zu gehen. Was tust du ihm da an, Lucy? Der Mann ist von Sinnen vor Angst, dich zu verlieren. Und du weigerst dich wegen dieses Babys, dein eigenes Leben zu retten? Du bringst ihn um. Das ist dir hoffentlich klar, oder nicht?«
»Ich konnte es nicht tun, Priss«, krächzte ich. Ich schloss die Augen und sah Dr. Hales unaufrichtiges Lächeln vor mir, hörte das Knistern dieses Papierhemds – zum Wegwerfen gedacht, damit man es hinterher leichter hatte mit dem Saubermachen. »Ich konnte es einfach nicht.«
»Natürlich kannst du es! Das ist doch nicht so schwer. Ein einfacher Eingriff.«
Ich starrte meine Schwester mit offenem Mund an. »Wir sprechen von einem Baby, Priscilla.
Meinem
Baby.«
»Nimm endlich Vernunft an. Dein eigenes Leben steht auf dem Spiel. Was um alles in der Welt denkst du dir nur dabei?« Priscilla sah mich ungläubig an, und ich bin sicher, dass mein Gesichtsausdruck dasselbe widerspiegelte. »Und jetzt unter die Dusche mit dir«, sagte sie entschieden, als sei ich ein kleines Kind. »Ich fahre dich wieder in diese Klinik. Ach, schau mich nicht so an. Du bringst das jetzt hinter dich, und dann gehen wir irgendwo zum Mittagessen. Ganz einfach.«
In mir wurde etwas hart. »Wie
einfach,
Priss?«
Meine wunderschöne Schwester musterte mich mit schmalen Augen. »Dein Ton gefällt mir nicht, Lucille.«
»Wie leicht ist es denn genau, ein Kind abzutreiben, Priscilla? Ich muss das wissen.
Begleite
mich doch durch diesen Prozess. Lass mich an deiner Erfahrung
teilhaben.
« Mein Singsang troff vor Sarkasmus.
Verräterische Röte kroch Priss’ Hals empor, und ich sah, wie an ihrem Auge etwas zu zucken begann. Doch sie drängte die Röte rasch zurück und zwang den Tic zur Ruhe. »Überlege dir, wie du mit mir sprichst, Lucille. Und hör auf, die Sache so zu verdrehen. Du solltest dich besser auf deinen Mann konzentrieren. Zum ersten Mal, das schwöre ich dir, tut er sogar
mir
leid. Er wird sich selbst zerstören, wenn du krank bleibst. Ich hoffe, das ist dir klar.«
Da explodierte die Wut in mir. »Das geht dich gar nichts an!«
»Ach? Du musst den Tatsachen ins Auge blicken. Es ist unglaublich egoistisch, das Baby unter diesen Umständen zu behalten.« Priss ließ sich schwer in den Sessel mir gegenüber fallen. »Ich will wissen, was sich verändert hat. Du hattest eine andere Einstellung dazu, ehe du schwanger geworden bist. Was ist mit der netten Erbschaft, die Mom uns durch ihre Gene hinterlassen hat? Hast du vergessen, dass du deshalb überhaupt nicht schwanger werden wolltest? Hast du den Verstand verloren, nur weil jetzt dieses … dieser …«
»Es ist ein Baby, Priss.«
»Nein, Lucy! Es ist nichts weiter als ein Parasit!«
»Ach, Priscilla«, seufzte ich. Offenbar konnte ich es ihr nicht begreiflich machen. »Geh nach Hause.«
»Es loszuwerden ist in Ordnung, Lucy«, sagte Priscilla, auf einmal sehr viel weicher. »Du wolltest es doch ursprünglich gar nicht. Weißt du noch? Lucy, denk doch mal darüber nach. Es ist nicht so wertvoll, dass du mit deinem Leben dafür bezahlen musst.«
»Ich kann das nicht.«
»Du könntest sterben.«
»Ich weiß. Aber ich würde mich in jedem Augenblick, den ich noch lebe, dafür hassen.«
»Lucy, hast du irgendeine Vorstellung davon, wie kindisch du dich anhörst?«
Ich starrte meine Schwester an. »Haben diese Argumente bei dir funktioniert? Das klingt mir nämlich sehr nach persönlicher Erfahrung, Priscilla.« Ich sah ihr an, dass ich einen empfindlichen Nerv getroffen hatte. Lily und ich hatten immer spekuliert, ob unsere Schwester damals
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