Tanz auf Glas
herrliches Haar war noch nass vom Duschen, und er war frisch rasiert. Er trug ein blaues Hemd, eine Anzughose und eine Krawatte. Mickey zog sich immer gut an, aber wenn ihm etwas Schwieriges bevorstand, kam eine Krawatte dazu.
Als er fertig war, kam er herüber und setzte sich neben mich. Wir sahen einander nicht an. Wir starrten nur blicklos in den traurigsten Tag unseres Lebens, bis eine Arzthelferin meinen Namen rief. Ich erhob mich. Mickey sprang auf und umarmte mich. Ich spürte, wie sein Herz an meiner Wange hämmerte. »Alles wird gut, Lu. Ich liebe dich.«
Ich nickte und folgte der Krankenschwester in Operationsraum 3 . Auf einer großen Instrumentenschale lagen ein weißes Handtuch, ein Schlauch und eine große Schüssel. Direkt über der Stelle, wo ich mit gespreizten Beinen liegen würde, war eine riesige Lampe angebracht. Eine Schwester mit einem netten Lächeln reichte mir ein OP -Hemd.
»Beruhigen Sie sich, Mrs Chandler. Sie werden sehen, es ist gar nicht so schlimm.« Sie tätschelte mir die Schulter, und ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie dieselben Worte schon tausendmal gesagt hatte. »Ziehen Sie dieses Hemd an und nehmen Sie auf der Liege Platz. Bitte legen Sie alles ab, außer Ihrem BH . Dr. Hale ist gleich bei Ihnen. Alles in Ordnung?«
Ich nickte stumm. Mir war nicht nach Geplauder.
Ich wand mich aus meinem T-Shirt – vorsichtig wegen meiner verbundenen Brust – und schlüpfte aus den Sandalen. Das Hemd aus Papier war steif und kratzte, und ich konnte nicht glauben, dass ich es jetzt tatsächlich trug – dass ich wirklich auf der Kante dieser speziellen Abtreibungsliege saß. Das Baby, das zum Mittelpunkt, zum Allerwichtigsten in meinem Leben geworden war, würde bald nicht mehr sein. Sie würden sie in diese Edelstahlschüssel absaugen, sie kurz untersuchen, um sich zu vergewissern, dass sie auch alles herausbekommen hatten, und sie dann entsorgen.
Jedes Bild, das ich mir in den vergangenen Wochen von ihr gemacht hatte, stand mir plötzlich vor Augen. Ich konnte ihre großen dunklen Augen sehen. Ich wusste, wie sich ihr seidiges Haar anfühlte. Ich spürte ihre weiche, warme Haut an meiner Wange.
Nach einem leichten Klopfen schob ein weißhaariger Mann den Kopf durch den Türspalt und fragte, ob ich fertig umgezogen sei. Ich nickte wie betäubt.
»Ich bin Dr. Hale.« Lächelnd streckte er mir die Hand hin. »Und Sie sind Lucy Chandler?«
Ich nickte erneut.
»So, dann schauen wir mal. Hier steht, dass Sie etwa in der zwanzigsten Woche sind, stimmt das?«
»Ja.«
»Und dass wir eine therapeutische Abtreibung vornehmen, wegen einer Krebsdiagnose. Das tut mir leid.«
»Danke.«
»Also«, sagte er und setzte sich, »haben Sie noch irgendwelche Fragen?«
»Ich habe das noch nie gemacht. Ich weiß nicht, wonach ich fragen sollte.«
Dr. Hale lächelte wieder. Er war ein bisschen zu fröhlich für meinen Geschmack. »Schön, fangen wir an.« Er räusperte sich und bat mich, mich hinzulegen.
Während er mit kalten Händen tastete und maß, runzelte er die Stirn und äußerte gebrummte Bedenken über die beträchtliche Größe des Fötus. »Das könnte eine Weile dauern.« Dann erklärte er mir die Prozedur, als lese er den Wetterbericht vor. Ich hörte nicht richtig zu, sondern zählte die Platten der Deckenverkleidung. Als er fertig war, schlug er meine Akte wieder auf. »Ihr Arzt hat uns Ihre Laborwerte geschickt, die brauchen wir also nicht noch einmal zu erheben«, sagte er erfreut.
Ich nickte.
»Also schicke ich jetzt jemanden zu Ihnen, der Ihnen den Zugang legt, und dann fangen wir an.« Dr. Hale stand auf und klatschte einmal in die Hände. »Ich bin bald wieder da«, sagte er und ging.
Eine Minute später kam ein kleiner Mann in einem weißen Kittel mit einer Infusionsflasche und Schläuchen herein, meterweise Schläuchen, wie mir schien. »Entschuldigen Sie, dass Sie warten mussten, meine Liebe«, sagte er mit hoher Stimme. »Wir sind heute ein bisschen unterbesetzt.« Er zog meinen Arm straff und klopfte ihn ab auf der Suche nach einer kooperativen Vene. Ich begann zu weinen.
»Das hat weh getan, tut mir leid. Jetzt ist sie drin, Liebes«, sagte er, da er meine Tränen wohl falsch verstand. Er sicherte die Nadel, die nun unter meiner Haut steckte, mit einem knappen halben Meter Band und plapperte irgendetwas über Dilatation vor sich hin. Ich hörte ihm nicht zu – ich flehte stumm darum, endlich aus diesem Alptraum aufzuwachen. Er tätschelte meine Schulter
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