Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
Vom Netzwerk:
und sagte, die Schwester werde gleich mit dem Medikament kommen, das den Prozess in Gang setzen würde. Dann ging er.
    Ich starrte die Wand an und spürte plötzlich, wie sich mein Baby bewegte. Sie war in den letzten Tagen sehr aktiv gewesen, und ich fragte mich, warum. Plötzlich schrie ich auf, ich konnte nicht anders. Ich hielt das nicht aus! Diese grauenhafte Abtreibung war vernünftig, das wusste ich, auch wenn sie mir nichts garantierte. Aber jeder Atemzug war eine Qual, weil
sie
sich in mir bewegte. Sie war stark, und mit jedem Augenblick wurde sie noch stärker und noch mehr zu meiner Tochter. Zu unserer Tochter. Ich wusste, dass ich aufhören musste, an sie zu denken. Ich musste mich endlich auf den Kampf einstellen. Ich musste kämpfen. Für Mickey. Und dann, vielleicht irgendwann …
    Dr. Matthews hatte die Lüge am glaubhaftesten erzählt: Vielleicht kann später dann ein Baby kommen. Ich hatte ihm dennoch nicht geglaubt, und ich glaubte seine Worte auch jetzt nicht, obwohl sie in meinem Kopf widerhallten. Ich kniff die Augen zu, fuhr mir mit der freien Hand ins Haar und schluchzte. Alles, was ich unter dieser Taubheit begraben hatte, brach jetzt mit Gewalt hervor. Meine Gefühle für dieses Baby. Die Angst davor, wieder so elend krank zu sein. Die wenigen Dinge, die ich über mich selbst ganz sicher wusste. Und trotz allem, was mich hierhergeführt hatte, wusste ich, dass ich nach diesem Tag nie wieder dieselbe sein konnte. Wenn ich diesen abscheulichen Ort verließ, würde ich vernichtet sein, unrettbar.
    »Ich kann das nicht tun«, schluchzte ich. »Ich kann nicht.«
    In den Klauen dieser Qual spürte ich eine Art zarte Berührung an den geschlossenen Lidern, und ich schnappte nach Luft. Neben meinen tobenden Emotionen war es nicht mehr als ein Hauch, so unheimlich und ungreifbar wie Schall an Haut.
Sie
war es. Einen Atemzug lang ließ ich meine Angst los, oder die Angst ließ mich los. Doch dann begriff ich mit Schrecken, was ihre Anwesenheit hier bedeutete.
Natürlich, ein Baby starb!
Natürlich musste die Todesfee erscheinen! Mein Baby würde sterben.
    Doch diese Gedanken wurden sogleich verworfen und verschmäht, so deutlich, als hätte sie laut zu mir gesprochen.
Was?
Es dauerte einen Moment, bis ich dem Gefühl vertrauen konnte, doch dann war ich von absoluter Sicherheit erfüllt.
Mein Baby sollte nicht sterben. Ich durfte das hier nicht tun. Ich musste sie nicht abtreiben.
    Ich hörte auf zu weinen, und mein rasendes Herz beruhigte sich. Einen Augenblick lang genoss ich die vollkommene Gewissheit, die vollkommene Erleichterung, wie warmen Sonnenschein. Aber … wenn sie nicht hier war, um meine Tochter zu holen, warum hielt mich diese Erscheinung dann im Arm wie eine liebevolle Mutter ihr Kind, das schlecht geträumt hat?
    Und da wusste ich es.
    Wenn ich die Augen öffnete, würde ich dasselbe Wesen erblicken, das mir mit fünf Jahren in die Augen gesehen, doch bis in meine erwachsene Seele geschaut hatte, in
diese
Seele. Also öffnete ich sie. Und ein unendlich sanfter, zärtlicher, liebevoller
Eindruck
blickte in mich hinein und erfüllte mich mit purer Gewissheit. Es war, als würde mir im Bruchteil einer Sekunde die ganze Welt erklärt, die gesamte, ungekürzte Schöpfung. Und ich verstand sie nicht nur, ich hatte auch das vage Gefühl, sie schon immer gekannt zu haben. Da wusste ich, dass nichts von alle dem Angekündigten wichtig war. Nichts von dem, was mein Leben retten sollte, würde mein Leben retten können. Diesmal nicht. Als meine Gefühle mich zu überfluten drohten, tauchte die Weisheit meines Vaters auf und stützte mich.
Der Tod ist nicht das Ende, Lulu. Wenn du keine Angst vor dem Tod hast, kannst du nach ihm Ausschau halten und vorbereitet sein …
    Ausschau halten und vorbereitet sein.
    Ich richtete mich auf und sah mich in diesem grässlichen Raum um, in dem ich kaum noch Luft bekam.
Ich sollte hier nicht sein. Ich darf das nicht tun.
Ich fühlte
ihre
Bestärkung und brach erneut zusammen. Und während sie mich in den Armen hielt, blickte ich meiner kleinen Zukunft direkt ins Gesicht und zuckte nicht davor zurück.
    Ich würde sterben.
Ich
würde sterben.
    Ich.
    Nicht meine Tochter.
    Eigentlich hätte ich gar nicht schwanger sein können. Eine Eileiterligatur vor vielen Jahren, ein Knoten, der nach all dieser Zeit auf wundersame Weise überwunden wurde? Sie war ein Baby, das es nicht hätte geben dürfen. Und doch …
Aus welchem Grund uns dieses kleine Wunder auch

Weitere Kostenlose Bücher