Tanz auf Glas
wirklich süß. Er hatte tolles Haar, dunkel und wellig mit einer breiten silbrigen Strähne, die ihm in die Stirn fiel und es mir schwermachte, sein Alter abzuschätzen – dreißig, hätte ich gesagt. Er hatte einen herrlichen Mund und wunderschöne dunkle Augen, und er wandte nicht ein einziges Mal den Blick von mir ab, während ich ihn ansah und dachte:
Daran könnte ich mich gewöhnen.
Aber ich hatte niemals mit Priscilla um Männer konkurriert, und ich hatte gewiss nicht vor, jetzt damit anzufangen. Also entzog ich ihm meine Hand und sagte nur: »Freut mich, dich kennenzulernen.«
Er sah mir so tief in die Augen, dass ich wusste:
Falls
ich Priss Konkurrenz machen wollte, würde sie ganz schön in Schwierigkeiten geraten. Aber meine Schwester war offensichtlich in ihrem Element, und ich ließ ihr ihren Spaß und mischte mich wieder unter meine Freundinnen.
Im Colby’s, dem Club in einem Nachbarort von Brinley, herrschte an diesem Abend Hochstimmung bei Musik, Bier und lebhaften Gesprächen. Ich genoss es, mich endlich mal wieder mit meinem Freund Chad Withers zu unterhalten, den ich seit dem Kindergarten kannte. Inzwischen führte er zusammen mit seinem Vater das einzige Bestattungsinstitut in Brinley. Er erzählte mir gerade von seinem kaum vorhandenen Liebesleben, als jemand ein kreischendes Mikrophon antippte und laut fragte: »Funktioniert das Ding?«
Alle verstummten und wandten sich der kleinen Bühne in einer Ecke des Saals zu. Ich nahm an, dass Ron die Leute vom Club informiert hatte, was hier gefeiert wurde, und dass eine kleine Ansprache wohl unumgänglich sei. Aber ich war überrascht, als Priscillas gutaussehender Freund mit dem bezaubernden Lächeln ans Mikro trat.
Er sagte: »Willkommen im Colby’s! Schön, dass ihr alle da seid. Amüsiert ihr euch gut? Ihr seid alle aus Brinley, richtig?«
Chad pfiff laut durch die Finger.
»Gut. Sehr gut. Brinley ist ja für sein reges Nachtleben bekannt. Das hier kann wohl kaum mit einem Bingoabend im Gemeindesaal mithalten, aber …« Mickey lachte und legte dann in gespielter Zerknirschung beide Hände aufs Herz. »Das war nur Spaß. Ich liebe Brinley. Die Leute sind echt nett da. Und reich, habe ich gehört, was sogar noch besser ist, also … gebt hier ruhig schön viel Geld aus. Howie da drüben mixt sensationelle Cocktails, und für heute Abend hat er eigens einen erfunden und ihn ›Lucy-ist-volljährig‹ genannt, zu Ehren unseres besonderen Gastes.«
Lautes Gelächter hallte durch den Saal, und ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg.
»O ja, nur einundzwanzig Dollar kostet der Drink, also haut rein, ich bin mit meiner Hypothekenzahlung im Verzug.« Er kicherte, schob eine Hand in die Hosentasche und zog sie wieder heraus. »Also, ich bin Mickey Chandler, und hier im Colby’s lieben wir besondere Anlässe, vor allem Geburtstagspartys, und heute Abend begießen wir Lucy Houston.« Er tastete sein Hemd ab und holte ein Stück Papier aus der Brusttasche. »Ich möchte mich bei ihrer Schwester Lily dafür bedanken, dass sie mir sämtliche peinlichen Geschichten über Lucy erzählt hat – dazu kommen wir gleich. Wo ist sie eigentlich? Hat jemand das Geburtstagskind gesehen?«
In dem halbdunklen Saal wurde ich von einem Scheinwerferkegel erfasst und verneigte mich theatralisch, während meine Freundinnen in Jubel ausbrachen.
Mickey klatschte in die Hände. »Da ist sie ja. Lucy ist heute einundzwanzig geworden – also nehmt euch in Acht. Dann wollen wir mal sehen … du studierst, richtig?«
Ich nickte.
»In Boston, wo du dir mit deinen Zimmerkameradinnen ein schönes Leben machst, möchte ich wetten. Dazu habe ich eine Frage. Hat jede von euch ihren eigenen Bereich im Kühlschrank, hübsch ordentlich abgeteilt? So ist es doch, oder? Und ich wette, dass zusätzlich dein Name auf deinem Käse und jedem einzelnen deiner Eier steht. Gib es zu, Lucy.« Mickey lachte. »Männer sind da völlig anders. Bei uns ist alles Gemeinschaftseigentum, richtig, Jungs? Essen, Bier, Mädchen, jeder nimmt sich, was er will. Hab ich nicht recht?«
Chad johlte, als wüsste er genau, wovon Mickey sprach, und ich musste lachen, weil Mickey einfach so süß war! Vor allem aber lachte Lily, was sie viel zu lange nicht mehr getan hatte, und allein deshalb wurde ich augenblicklich zu Mickeys Fan.
»Lucy, komm mal hier rauf, na los«, sagte Mickey. »Hilf mir ein bisschen, denn wenn ich das hier vermassele, geht ihr am Ende alle lieber Bingo
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