Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
Vom Netzwerk:
kleinen, wesentlich weniger kurvenreichen Schwester – die in Rock und Stiefeln dennoch ganz hübsch aussah und sich nichts gefallen ließ.
    Als Mickey gleich darauf die Bühne verließ, sagte ich: »Das ist deine Chance, Priss.«
    Meine Schwester wog kurz die Möglichkeiten ab, richtete dann aber den Blick über meine Schulter. »Ich will noch mit ein paar Leuten reden. Also betrachte den Komiker als mein Geburtstagsgeschenk.«
    Ich wandte mich um und sah Trent Rosenberg meine Schwester anglotzen, als sei sie ein Festmahl und er fast verhungert. Trent war einer ihrer Ex-Freunde aus der Highschool, und er und Priss waren eines der ältesten Dauergerüchte von Brinley. Ich wollte nicht glauben, dass sich meine Schwester auf so einen einlassen würde. Vor allem, da er verheiratet war und Kinder hatte. »Mach keine Dummheiten, Priss.«
    »Was denn? Es ist doch nichts dabei.«
    Ich hätte gern noch mehr gesagt, aber in diesem Augenblick zwängte sich Lily zwischen uns und bat Ron, uns zu fotografieren. Sie zog mich vor sich und Priss in die Mitte, und wir alle lächelten – die Houston-Mädchen in unserer traditionellen Pose, fest umschlungen und ich in der Mitte, flankiert von meinen großen Schwestern.
    Dann packte Chad mich am Arm. »Komm, Lu. Sie spielen unser Lied.« Und tatsächlich drangen Wang Chung aus der Jukebox und versetzten mich sofort zurück zu unserem gemeinsamen Abschlussball.
    Als schon fast alle gegangen waren, beschloss ich, nach Mickey Chandler zu suchen. Der Barkeeper deutete den schmalen Flur entlang, wo ich ein Büro mit halbgeöffneter Tür vorfand. Ich räusperte mich und klopfte. Mickey Chandler blickte von seinem Computerbildschirm auf. »Hallo.«
    »Hallo. Ich wollte mich nur für den lustigen Abend bedanken.«
    »War mir ein Vergnügen.« Er grinste.
    Ich hatte meine Telefonnummer schon auf die Rückseite einer Serviette gekritzelt und reichte sie ihm jetzt mit meinem schönsten Lächeln. »Ich hatte viel Spaß heute.«
    Er nahm die Serviette mit verblüffter Miene. »Du warst toll auf der Bühne – ein Naturtalent«, entgegnete er mit verlegenem Lächeln. Doch weiter sagte er nichts. Kein Wort. Ehe die Situation allzu peinlich wurde, verabschiedete ich mich also mit einem knappen »Noch mal vielen Dank« und ging. Ich war verwirrt und ein bisschen enttäuscht, aber ich wollte nicht glauben, dass ich ihn völlig falsch verstanden hatte.
    Mickey Chandler faszinierte mich. Ich wusste, dass ich bei unserem Geplänkel auf der Bühne einen Blick auf etwas sehr Reales hinter seiner Clownmaske erhascht hatte. Er wusste das auch, und ich merkte deutlich, dass er unsicher war, was er davon halten sollte. Aber eben dieser kurze Blick auf den Mann, der sich hinter dem Komiker versteckte, war das, was mich so berührt hatte. Ich versuchte, die Geschichte abzuhaken, aber ich muss zugeben, dass ich in den folgenden acht Monaten einige Male an ihn dachte.
    Ende Mai 1999 stand Priscilla um vier Uhr morgens vor meiner Wohnung in der Nähe des Campus. Ich öffnete verschlafen die Tür, doch als ich sie zitternd da stehen sah, war ich mit einem Schlag hellwach. Ihr Haar war nass.
    »Priss? Was machst du hier?«
    »Du musst mich nach Hause fahren«, sagte sie und drängte sich an mir vorbei. Sie trug keine Schuhe. »Wo ist dein Autoschlüssel?«
    »Priscilla, was ist denn los?«
    »Kannst du mich fahren?« Sie hob Sofakissen an und eilte hin und her. »Wo zum Teufel ist deine Handtasche?«
    Ich packte sie bei der Hand, und als sie sie mir entziehen wollte, riss ich sie herum. »Priscilla, hör auf! Was ist los mit dir?«
    »Ich habe einen Knoten gefunden!«, schrie sie. Dann wiederholte sie leise und voller Entsetzen: »Ich habe einen Knoten gefunden.«
    Ich starrte sie an und vergaß zu atmen.
    »Bitte, Lucy. Können wir einfach fahren?«
    Wir fuhren beide im Schlafanzug heim nach Brinley. Priss saß in stummer Panik da, während ich überlegte, ob mir irgendetwas entgangen war. Ich hatte meine Schwester recht häufig gesehen, seit ich in Boston war, aber nie bemerkt, dass sich der Tod irgendwo in ihrer Nähe herumgetrieben hätte. Jetzt fürchtete ich mich davor, genauer hinzuschauen. Wir waren mehr als die halbe Strecke schweigend gefahren, ehe ich schließlich nach ihrer Hand griff. »Priss, bitte rede mit mir.«
    Sie drückte meine Hand und ließ sie dann los. »Fahr einfach, Lu.«
    Charlotte ordnete später am selben Vormittag eine Biopsie an. Dann warteten wir. Wir waren alle in ihrem Sprechzimmer

Weitere Kostenlose Bücher