Tanz auf Glas
Immer wieder murmelte sie vor sich hin. »Oh, dieses liebe Mädchen, das liebe Mädchen. Sie hat dich so sehr geliebt, Mic.«
Ehe wir den Haupteingang erreichten, löste ich mich von ihnen und dankte ihnen für ihre Liebe und ihren Beistand. Sie waren meine Eltern in fast jedem Sinne, aber ich brauchte Abstand von ihnen, von ihrem Kummer, denn ich hatte keinen Platz für mehr als meine eigene Trauer.
»Ich schaffe das schon«, log ich. »Ich fahre rüber zum Partners und sage es Jared. Und dann muss ich meinen Vater anrufen.« Ich besänftigte ihre Sorge um mich mit einem bekräftigenden Nicken, für das ich einen Oscar verdient hätte.
»Du rufst uns später an, ja?«, fragten sie.
»Mache ich«, versprach ich. Dann gingen die beiden in eine Richtung und ich in die andere. Ich fuhr tatsächlich zum Partners. Und mein lieber Freund Jared weinte, als ich es ihm sagte.
»Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst«, sagte er. »Und sag mir, wenn ich etwas für dich tun kann. Wann ist die Beerdigung?«
»Ich weiß es nicht. Sobald der Termin steht, gebe ich dir Bescheid.«
»Wir werden alle kommen, Mic. Wir werden geschlossen antreten, um Lucy die letzte Ehre zu erweisen.«
Danach fuhr ich nach Hause, doch als ich auf unser Haus zuging, schnürte es mir die Brust zusammen, und ich wusste, dass ich nicht allein da hineingehen konnte. Also fuhr ich zum Hafen und starrte auf den schwarzen Connecticut River hinaus. In New Orleans war es jetzt halb elf, und wahrscheinlich lag mein Vater schon im Bett. Ich wählte seine Nummer in der Hoffnung, dass er nicht drangehen würde. Als sich sein Anrufbeantworter meldete, sagte ich: »Hallo, Dad, ich bin’s. Ich habe schlechte Neuigkeiten, und es tut mir leid, dass ich sie dir auf dem Anrufbeantworter hinterlassen muss.« Meine Stimme brach, und es dauerte einen Moment, bis ich weitersprechen konnte. »Es ist passiert … heute Abend, Dad. Lucy ist von uns gegangen, und ich … ich habe eine Tochter.« Ich würde ihm irgendwann beibringen müssen, dass sie hauptsächlich Rons und Lilys Kind war, aber jetzt hatte ich nicht die Kraft, das zu erklären. Stattdessen bat ich ihn, David anzurufen, falls er dazu kam, weil ich die Telefonnummer meines Bruders nicht kannte.
Ich weiß nicht, wie spät es war und wie lange ich im Auto gesessen hatte, ehe ich schließlich die Tür öffnete und den Pier mit einer weichen, tiefen Schicht Pulverschnee bedeckt fand. Ich trottete zu der Stelle, wo unser Segelboot über den Winter trocken lag. Es war aufgebockt, und ich musste eine Mülltonne holen, um hinaufklettern zu können. Ich zerriss die Abdeckplane und betrat das rutschige Deck, das nun den Elementen preisgegeben war. Nur kriechend gelangte ich zur Kabinentür. Es überraschte mich sehr, dass ich den Zahlencode für das Vorhängeschloss in meinem wirren Hirn fand. Ich öffnete die Tür, rutschte die Stufen hinab wie ein Betrunkener und zog die Tür hinter mir zu. Lange saß ich auf der untersten Stufe im Dunkeln, dann legte ich mich aufs Bett. Ich muss geschlafen haben, aber von Ausruhen konnte keine Rede sein.
Es mochte eine Stunde oder ein ganzer Tag vergangen sein, als Ron mich fand. Bei dem schieren Entsetzen in seinen Augen fragte ich mich, ob mir ein zweiter Kopf gewachsen sei. Er überschlug sich förmlich vor Entschuldigungen, während er mich zu sich nach Hause fuhr. Er machte mir heißen Haferbrei und brachte mich dazu, ihn zu essen – ich glaube, er hat mich sogar gefüttert. Dann stellte er mich unter die Dusche und steckte mich in meinen schwarzen Anzug. Er musste buchstäblich meine Arme und Beine für mich bewegen, denn mir wollten sie nicht gehorchen. Schließlich fuhr er mich zu Lucys Trauerfeier. Ich spürte jeden Blick im Raum auf mich gerichtet, und als ich meine Frau in ihrem Sarg liegen sah, schrie und weinte der Mann in meinem Inneren und donnerte mit den Fäusten gegen meine Brust. Doch die Wände waren dick, und der Mann konnte nicht durchbrechen – weder seine Stimme noch seine Tränen.
Ich starrte sie an, meine wunderschöne Lucy, und befahl ihr, aufzuwachen und bei mir zu bleiben, aber Lucy schlief, und ich sah ihr dabei zu. Ich hätte sie mein restliches Leben lang betrachten können, aber Earl sagte, ich müsse den Sarg jetzt schließen. Seine Worte blieben bedeutungslos für mich, bis er es selbst tat. Da brach der Mann in mir endlich aus.
Von Lucys Begräbnis weiß ich nur noch, dass ich eine Menge Krach machte und nicht daran teilnehmen konnte.
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